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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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zu sehen waren. Zumindest Ariana nickte ihm ermutigend zu – Mitgefühl von unerwarteter Seite, die kleine Menschlichkeit eines Fensters, das sich in einem Wolkenkratzer öffnet.
    Auf der Bühne angelangt, schien das Publikum vor seinen Augen zu verschwimmen. Im einen Moment ein blasses, unerkennbares Geschmier, im nächsten sah er jede gerunzelte Stirn und jeden verkniffenen Blick gestochen scharf. Er hatte seine Eltern gebeten, nicht zu kommen, wusste aber, dass sie die Anhörung im Fernsehen verfolgen würden. Er hatte gefürchtet, dass die Zweifel seines Vaters seine Sicherheit ins Wanken bringen würde, seiner Mutter hatte er die Atmosphäre ersparen wollen, die im Raum herrschte. Jetzt jedoch wünschte er, die beiden wären hier. Er versuchte, Laila auszumachen, konnte sie aber nirgends entdecken. Kein Wunder, bei all den vielen Menschen. Reiss jedoch entdeckte er. Er hämmerte auf sein BlackBerry ein.
    Im Raum wurde es still. Mo legte den Text seiner Ansprache, in achtzehner Schriftgröße, auf den Tisch und beugte sich näher ans Mikrofon. Er musterte die Gesichter vor sich und stellte sich all die vielen anderen Gesichter vor, die ihn beobachteten. Da die Anhörung weltweit ausgestrahlt wurde, hatte er in diesem Augenblick das größte Publikum, das er je für eine Diskussion seiner Arbeit haben würde. Und er musste sich darauf beschränken zu erklären, wieso eine Religion, die er im Grunde nicht einmal praktizierte, diese Arbeit nicht vergiftet hatte. An dem kleinen Sprechertisch auf dem Podium sitzend kam er sich vor wie eine alberne Handpuppe, hinter der riesige Schatten miteinander rangen. Er versuchte, sich an die schwersten Momente seines Lebens zu erinnern – die Arbeitsgruppensitzungen und Brainstormings und Kritikrunden während seines Studiums, die schwierigen Besprechungen mit Auftraggebern und mit Roi. Seine beste Vorbereitung auf diesen Augenblick war das Verhör kurz nach den Anschlägen.
    »Ich möchte mich dafür bedanken, dass ich heute hier sein darf«, fing er mit sicherer, ruhiger Stimme an. »Es ist mir eine große Ehre, dass mein Entwurf für die Gedenkstätte ausgewählt wurde. Ich möchte nichts anderes, als all den Menschen gerecht werden, die an jenem schrecklichen Tag von uns genommen wurden.« Schweigen wir darüber, dass ich auch Gerechtigkeit für mich und meinen Entwurf will, dachte er trotzig, bedauerte seinen Ärger aber auf der Stelle, seine vergiftende, verzerrende Kraft. Er atmete tief durch.
    »Ich möchte kurz über meinen Entwurf sprechen. Für mich ist die Mauer, die den Garten einfasst, die Mauer mit den Namen, eine Allegorie für den Kummer und die Trauer, die die Zeit nach dieser Tragödie prägten. Aber das Leben geht weiter, irgendwann schöpft der Geist wieder neue Kraft. Genau das will der Garten ausdrücken. Doch während der Garten wächst, sich entwickelt, sich mit den Jahreszeiten verändert, bleibt die Mauer, die ihn umgibt, unverändert. Sie ist so ewig, so unabänderlich, wie unsere Trauer –«
    Er hörte ein leises Zischen, ein leises Entweichen giftiger Luft. Einen Augenblick lang schien es, als würde er vom Gleißen der Feindseligkeit geblendet, die von der Menge ausging. Aber es war nur der auf ihn gerichtete Scheinwerfer, der heller gedreht worden war. Er blinzelte. Ein dumpfer Schmerz, vom Licht, vom Hunger, von der Anspannung, setzte sich in seiner rechten Schläfe fest. Er veränderte seine Haltung, setzte sich aufrechter hin, übersprang ein Stück seines Textes. »Es gibt zahlreiche Einflüsse, die auf den Entwurf des Gartens eingewirkt haben. Angefangen bei japanischen Gärten, die Strukturen wie den Pavillon als eine Art Anker quer durch die Jahreszeiten hindurch verwenden –»
    »Niemand sprengt sich selbst in die Luft, um in einen japanischen Garten zu kommen«, schrie ein Mann aus dem Publikum.
    »Und die Japaner haben keine zweiundsiebzig Jungfrauen, die die Beine breitmachen«, gellte eine andere Stimme.
    Paul Rubin beugte sich vor und drehte sein Mikrofon ungefähr so hastig an, wie er es in einer etwas hitzigeren Vorstandssitzung tun würde. »Ich werde derartige Unterbrechungen nicht dulden«, sagte er ohne jede Betonung. »Lassen Sie Mr Khan aussprechen. Jeder, der sich nicht zusammenreißen kann, wird aus dem Saal entfernt werden.«
    Rubins Mangel an Eindringlichkeit verwirrte Mo. Er schien keinerlei Interesse daran zu haben, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Während die Zuschauer sich beruhigten, überflog Mo

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