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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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Glück und Allahs Segen«, sagte er. »Sie werden beides brauchen.«
    Drei Abende vor der Anhörung träumte Mo von einer Dürre, von ausgetrockneter, harter, rissiger Erde. Er träumte von Überschwemmungen, die seinen Garten in einen Morast verwandelten. Er träumte von Heuschrecken, die seine Pflanzen fraßen und ihn umschwärmten. Zuckend wachte er aus diesem Traum auf, tastete sich in die Küche, holte den Karton mit Orangensaft aus dem Kühlschrank und trank, trank mit der gleichen, schwindelerregenden Selbstverachtung, die ein rückfälliger Junkie empfinden musste, aber auch mit der gleichen widerlichen Erleichterung: Das bin nun einmal ich, ich kann jetzt aufhören so zu tun, als sei ich ein anderer. Orangensaft als erstes am Morgen, was konnte amerikanischer sein? Aber mit diesem Orangensaft hatte er sein Fasten beendet. Er wusste nicht einmal wieso, nur dass er mit dem plötzlichen, unerwarteten Gefühl aufgewacht war, dass Kraft nicht aus dieser Art von Opfer kommen würde, dass seine Abstinenz nie etwas anderes als hohl sein würde. Wenn er nicht sagen konnte, dass er an das Paradies glaubte, dem das Fasten ihn näherbringen sollte, wie konnte er dann an das Fasten glauben? Dieser Ramadan war für ihn auch ohne Fasten Prüfung genug.
    Einmal, ungefähr vor einem Jahr, hatte Mo seinen Vater aus Neugier über dessen neue Frömmigkeit zum Freitagsgebet begleitet. Kaum dass sie auf dem Parkplatz vor der Moschee anhielten, fing Mo an, die Architektur des Gebäudes zu kritisieren. Die Kuppel und das Minarett, die aussahen, als wären sie einem Zeichentrickfilm entsprungen, den grellen, kalten Innenraum. »Da drin kann doch niemand Gott finden«, sagte er, als sie wieder gingen.
    »Ich weiß, dass Gebäude deine Religion sind«, hatte Salman fast belustigt geantwortet. »Aber sie sollten dich nicht von Gott fernhalten, und sie können dich nicht zu ihm bringen.«
    Der Friseurladen war winzig und unauffällig. Vier Stühle, ein Zeitschriftenständer, ein einziger Friseur, der einem für vierzehn Dollar die Haare schnitt und hinterher zusammenfegte, ein Laden der alten Schule, ein schnickschnackfreies Fleckchen Manhattan. Mo blieb einen Augenblick draußen stehen, ging dann hinein und auf den weiß bekittelten Besitzer zu, dessen Gesicht hinter einer Zeitung verborgen war. Der Mann faltete die Zeitung zusammen, wobei schlohweiße Haare und ein ebensolcher Schnurrbart zum Vorschein kamen, und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Kurz«, sagte Mo. »Akkurat.«
    Der Friseur führte ihn zu einem Stuhl und hängte ihm den schwarzen Umhang um. Mit der Präzision eines Chirurgen legte er seine Utensilien zurecht und machte sich an die Arbeit. Dunkle Locken rieselten zu Boden. Der Friseur pfiff vor sich hin. Für Mo war jeder Schnitt der Schere ein Zugeständnis. Die Anhörung war in zwei Tagen, und er ließ sich die Haare schneiden, die seit seiner Afghanistan-Reise fast schulterlang geworden waren. Um seiner Mutter eine Freude zu machen, jedenfalls redete er sich das ein. Sein Aussehen, hatte sie argumentiert, lenke von seinem Entwurf ab. Ein konservativerer Haarschnitt würde der Opposition den Wind aus den Segeln nehmen, Ängste beschwichtigen. Er hatte geantwortet, dass er es nicht nötig haben sollte, sich wegen der Vorurteile anderer zurechtzustutzen. Und doch war er hier und ließ sich zurechtstutzen.
    »Rasieren?«, fragte der Friseur, bevor er ihm den Umhang abnahm.
    Mo schüttelte den Kopf.
    Am Morgen der Anhörung wurde Mo schon früh wach, seine Boxershorts trotz der herbstlichen Kühle verschwitzt, die Laken völlig zerknäult. Er legte beide Hände um sein teils glattes, teils haariges Gesicht, duschte, rieb ein Loch in den Dunst, der sich auf dem Spiegel über dem Waschbecken niedergeschlagen hatte, und beugte sich näher. Sein Anblick, mit den kurzen Haaren, ließ ihn zurückfahren. Fast war es, als hätte sich ein anderer Mann im Medizinschränkchen versteckt. Er sah sich in die Augen und fing die nächste Diskussion mit sich selbst an. Es zu tun, war praktisch. Nein, es war feige. Er konnte ihn wieder wachsen lassen. Es wäre nicht dasselbe. Er hatte alles unter Kontrolle. Er duckmäuserte. Es zu tun, war klug. Nein, beschämend. »Als Nächstes wirst du dir wegen ihnen den Bart abrasieren«, hörte er Laila sagen.
    Er hatte sich den Bart wachsen lassen, um mit Vorstellungen und Fehlvorstellungen zu spielen, um dem Versuch, ihn zu definieren, etwas entgegenzusetzen. Wenn er sich jetzt rasierte,

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