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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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er sich um.
    »Ihr Gürtel«, sagte Paul, ohne ihn anzusehen.
    Ein Modell des Gartens war unter einem Punktscheinwerfer und einer riesigen amerikanischen Flagge auf der Bühne aufgebaut worden. Zusammen mit Mos Zeichungen war es zwei Wochen lang ausgestellt worden, damit die Öffentlichkeit sich ein Bild machen konnte. »Es muss das am schwersten bewachte Modell in der Geschichte der Architektur sein«, hatte Thomas nach einem Besuch berichtet. »Es ist der architektonische Hope-Diamant.«
    Mo hatte das Herstellungsbüro ein halbes Dutzend Mal aufgesucht, während das Modell gebaut wurde, aber es jetzt fertig zu sehen, ließ seine Brust vor Stolz schwellen. Die weiße Mauer mit dem außen aufgedruckten Datum des Anschlags schimmerte im Licht wie Elfenbein. Eine winzige, batteriebetriebene Pumpe ließ das Wasser durch die Kanäle fließen. Anstelle der Namen waren auf der Innenseite der Mauer nur zufällige Buchstabenfolgen zu sehen, aber ihre Anordnung ergab, zu Mos Zufriedenheit, die Form der zerstörten Türme. Stahlbäume aus gedrehtem Draht und grüne Bäume aus Draht und Papier ragten über die Mauer hinaus.
    Von dem für ihn, der noch hinter der Bühne war, unsichtbaren Publikum, ging ein Summen und Raunen aus wie von einem Hornissenschwarm. Erst im letztmöglichen Augenblick begab er sich die Treppe hinunter und nahm seinen Platz in der ersten Reihe ein. Das Summen war hier fast ohrenbetäubend. Atmen, atmen, sagte er zu sich selbst. Er sah nach rechts die Sitzreihe entlang und entdeckte Robert Wilner, den Vertreter der Gouverneurin, der seinen Blick erwiderte und sich dabei beiläufig über das Kinn strich. Ein paar Plätze weiter links saß Claire Burwell, die ihn anstarrte, den Blick aber abwandte, als er sie seinerseits ansah, was ihn verunsicherte. Natürlich hatte er den Artikel in der Post gelesen, in dem es hieß, sie sei dabei umzukippen, hatte aber angenommen, dass das, wie so vieles, was die Zeitung berichtete, übertrieben oder unwahr war. Ihre Unterstützung war so überschwänglich gewesen, hatte so unerschütterlich gewirkt, und was sie über ihren Sohn gesagt hatte, hatte überzeugend geklungen. Er hätte nicht im Traum daran gedacht, an ihr zu zweifeln.
    Eine Schülerin trat vor und sang die Nationalhymne. Der gepresste, zarte letzte Ton verharrte in der Schwebe wie eine Vase kurz vor dem Umkippen. Paul Rubin kam auf die Bühne, setzte sich, tippte gegen sein Mikrofon, dankte allen für ihr Erscheinen und bat um einen Augenblick der Stille für die Opfer des Anschlags. Mo dachte gerade noch rechtzeitig daran, den Kopf zu senken und hätte sich für seinen Beinahefehler am liebsten einen Tritt versetzt. Er konnte sich die Fotos vorstellen, den allgemeinen Aufschrei, wenn er allein als einziger ins Leere gestarrt hätte. Das Klicken der Kameras klang, als lasse man Patronen aus einem Magazin fallen.
    »Den Familien«, fuhr Rubin nach der Schweigeminute fort, »möchte ich sagen, dass wir das, was wir hier tun, für Ihre geliebten Toten tun. Und ich möchte Ihnen, den Hinterbliebenen, dafür danken, dass Sie das Gewissen dieses Verfahrens waren.« Wie ein Mann, der es gewohnt ist, Versammlungen und Konferenzen zu leiten, erläuterte er dann den Ablauf der Anhörung. Mohammad Khan würde eine kurze Erklärung zu seinem Entwurf abgeben. Anschließend würden Vertreter des Publikums zu Wort kommen, wobei die Angehörigen bevorzugt aufgerufen würden. Er bat um Höflichkeit. »Das ist ja das Schöne an unserer Demokratie«, sagte er. »Wir geben jedem die Chance, zu sprechen und angehört zu werden. Die Entscheidung der Jury war nur eine Orientierungshilfe, war nur ein Schritt in diesem Verfahren. Wir möchten, dass sich dieses Verfahren so demokratisch wie nur irgend möglich gestaltet, und folglich gehört das letzte Wort Ihnen, dem Volk.« Es dauerte fast eine halbe Minute, bis Mo begriff, dass Rubin seiner Jury damit die Entscheidung entrissen und in die Hände des Publikums gelegt hatte. Seine Augen brannten. Er senkte den Blick, um seine Fassung wiederzufinden.
    »Mr Khan?«, sagte Paul. »Mr Khan.«
    Obwohl er das Fasten aufgegeben hatte, hatte Mo an diesem Morgen völlig vergessen zu frühstücken, so sehr hatte er sich auf die Rasur und die Prozedur des Ankleidens konzentriert. Er stand auf, ging mit fohlenstaksigen Schritten nach links und sah dabei auf Claire hinunter, die sich auf ihr Notebook konzentrierte, so dass nur ihr verschlungener blonder Knoten und ihre langen, schlanken Beine

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