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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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hätte er dann gewonnen oder verloren? Verriet er seine Herkunft? Nein, aber es würde so aussehen. Verriet er sich selbst? Diese Frage ließ die Hand zittern, in der er den Rasierer hielt.
    Mit einer energischen kühnen Bewegung fing er an, beobachtete, wie Streifen hellerer Haut unter den Barthaaren zum Vorschein kamen. Als er fertig war, sah er jünger aus, blasser, harmloser, so wie sein kurz geschorener Kopf kleiner und jungenhafter aussah. Machte er sich selbst kleiner, um anderen die Chance zu nehmen, es zu tun? Er öffnete seinen Koffer, holte seine alte, schlichtere Titanbrille hervor, klappte die getönte zusammen und legte sie stattdessen hinein. Er hatte das Gefühl, sich selbst in den Koffer zu sperren.
    Er benutzte reichlich Deodorant, zog seinen besten dunkelgrauen Anzug an, ein weißes Hemd, eine Seidenkrawatte mit dunkelgrauen und zartsilbernen Diagonalstreifen. Nicht schlecht, dachte er, als er sein Spiegelbild musterte. Gediegen, exotisch. Aber es ging nicht um einen Schönheitswettbewerb.
    Der Himmel hatte ein ausdrucksloses Gesicht aufgesetzt. Mo nahm sich ein Taxi zum Rathaus, dem Sitz des Stadtrats, wo die Anhörung stattfinden sollte. In Erwartung des Andrangs hatte die Polizei Sperrgitter aufgestellt. Bombenspürhunde suchten den umliegenden Park ab.
    Auf Anweisung von Paul Rubin betrat Mo das Gebäude durch einen Seiteneingang. Ein Polizist hakte »Mohammad Khan« von einer Liste ab und wies ihn dann an, seine Taschen auszuleeren und durch den Metalldetektor zu gehen. Mo legte Münzen, Schlüssel und Handy in die Plastikschale, zog die Schuhe aus, ging durch und hörte lautes Piepsen.
    »Der Gürtel«, sagte der Polizist mit Blick auf Mos Taille.
    Mo zog den Gürtel aus. Auch abgesehen von der Fasterei hatte er in letzter Zeit nicht viel gegessen und war noch schmaler geworden, als er es immer gewesen war. An diesem Morgen hatte er den Gürtel ein Loch weiter zuziehen müssen. Ohne ihn sah man, dass die Hose ihm viel zu weit geworden war.
    »Gehen Sie noch mal durch«, sagte der Polizist und nickte in Richtung des Detektors. Mo tat es. Wieder ging der Alarm los. Der Polizist beäugte ihn misstrauisch.
    »Die Brille vielleicht?«, sagte Mo. Ob das Titangestell das Problem war? Der Beamte schnaubte und murmelte etwas in sein Funkgerät, dachte erst dann daran, es anzuschalten, wiederholte sein Gemurmel und hielt sich das Gerät anschließend ans Ohr. Dann sagte er barsch zu Mo: »Arme ausbreiten, Beine auseinander.« Als Mo ihn geradezu panisch ansah, fügte er etwas freundlicher hinzu: »Ich muss Sie abtasten.«
    Was für eine Würdelosigkeit ausgerechnet an diesem Tag, dachte Mo, dem ziemlich schwummrig zumute war. Gegen seinen Willen fing er an zu zittern, was ihn fürchten ließ, dass ihm das als schlechtes Gewissen ausgelegt werden könnte. Der Polizist tastete Mos ausgestreckte Arme ab und ließ die Hände dann mit fast zärtlicher Intimität in seine Ärmel und unter den Rücken seines Jacketts gleiten. Genau in diesem Augenblick tauchte Paul, etwas atemlos, aus dem Inneren des Gebäudes auf, begleitet von einem Beamten in Zivil.
    »Captain«, begrüßte Mos Beamter Pauls Begleiter.
    »Oh«, machte Paul, als er Mo erblickte. »Oh.« Dann, zu dem Beamten bei Mo: »Es ist in Ordnung – lassen Sie ihn durch.«
    Der Beamte machte ein zweifelndes Gesicht und schüttelte den Kopf.
    »Bitte«, kam es ungeduldig von Paul, der sich dann an den Captain wandte. »Ich übernehme die volle Verantwortung. Er ist der, er ist der –«
    Alle warteten höflich, als sei er ein Stotterer, während Paul nach dem korrekten Ausdruck suchte.
    »Ehrengast«, stieß er schließlich hervor, als hätten sie alle sich zu einer Überraschungsparty für Mo versammelt.
    Der Captain nickte. Nach einem weiteren kurzen Zögern löste der Beamte widerwillig wie ein Hund, der von einem Vogel ablässt, die Hand von Mos Rücken, wo sie, ohne dass Mo es registriert hatte, die ganze Zeit gelegen hatte. Mo machte einen misstrauischen Bogen um den Detektor herum. Er kam sich vor wie ein Kind, das endlich wieder ins Klassenzimmer zurückdarf, oder wie ein Gefangener, dem willkürlich Gnade gewährt wurde. Es war ihm peinlich, dass man ihn hatte retten müssen. Seine Füße schlüpften in die Schuhe, er packte Münzen und Schlüssel zurück in seine Taschen und setzte sich in Bewegung, um so schnell wie möglich von hier wegzukommen, nur um festzustellen, dass Paul Rubin nicht neben ihm war. Als er ein Hüsteln hörte, drehte

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