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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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eingeübt sein. Das hatte nichts mehr mit Plumpheit zu tun, allerdings hätte Mo jetzt gern auf diesen Beweis dafür verzichtet, dass diese Leute ihr Handwerk verstanden. Plop plop plop , machte der Kaugummi. Mos Beine zitterten, als hätte er drei Kugeln ausweichen müssen.
    »Nein«, sagte er mit erzwungener Höflichkeit. »Nein, ich kenne keine.«
    »Denken Sie genauer nach, Mohammad.«
    »Ich habe nichts getan«, sagte er zu sich selbst. »Ich habe nichts getan.«
    »Wie bitte?«
    Hatte er laut vor sich hingemurmelt? »Nichts«, sagte er. »Ich habe nichts gesagt.«
    Niemand sprach. Sie warteten. In der Architektur war der Raum Material, das geformt, sogar geschaffen werden musste. Für diese Männer war die Stille das Material. Stille wie Wasser, in dem man ertrinken konnte, das Fehlen von Worten so erstickend wie das Fehlen von Luft. Stille, die einem den Willen aussaugte, bis man japsend durch die Oberfläche brach und seine Sünden entweder gestand oder erfand. Hier gab es keine Zufälle. Als Flipper ihm das Päckchen Big-Red-Kaugummi hinhielt, war dieser Akt ebenso durchdacht wie Mos Entscheidung, den Zugang zum Theater geschwungen zu gestalten, um dem Besucher die Lobby so lange wie möglich vorzuenthalten. Die Agenten, die es nun für angebracht hielten, Freundlichkeit zu demonstrieren, fragten ihn, ob es ihm »etwas ausmache«, noch etwas mehr Zeit mit ihnen zu verbringen, damit sie einen weiteren Kollegen hinzuziehen konnten. Als sie das Zimmer verlassen hatten, nahm er es in Augenschein. Sie hatten eine Trennwand von der Textur einer grauen schimmeligen Anschlagtafel aufgestellt, um das Zimmer kleiner zu machen und die bedrückende Atmosphäre des fensterlosen Raums zu maximieren. Aber der Raum war nicht fensterlos: Es war die Trennwand, die das natürliche Licht aussperrte und den Anschein einer Zelle erweckte. Jemand von ihnen verstand etwas von räumlicher Manipulation.
    Er nahm den Kaugummi aus dem Mund und wollte schon aufstehen, um ihn in den Papierkorb in der Ecke zu werfen. Dann aber stellte er sich vor, dass sie ihn dabei beobachteten, und setzte sich wieder. Er wollte ihnen keine Anhaltspunkte liefern. Vielleicht war der Kaugummi ein Trick, um an seine DNA zu kommen; er hatte im Zusammenhang mit Strafrechts- oder Vaterschaftsfällen von so etwas gelesen, oder vielleicht hatte er es auch in einer Episode von Law & Order gesehen. Er steckte den Kaugummi wieder in den Mund, kaute noch einmal und schluckte ihn hinunter, setzte sich über die irrationale Angst hinweg, Beweismaterial vernichtet zu haben. Der Gummiklumpen gesellte sich zu dem nervösen Kloß in seinem Magen.
    Sein Bemühen, nicht wie ein Verbrecher zu wirken, führte dazu, dass er sich wie einer verhielt, sich wie einer fühlte. Dabei war er, von ein paar unrühmlichen Ausnahmen abgesehen, ein absolut braver, harmloser Junge gewesen und jetzt, juristisch gesehen, ein absolut unbescholtener Mann. Dass er sich gelegentlich wie ein Arschloch verhielt – Freundinnen kurz und bündig abservierte, Handwerker sang- und klanglos feuerte –, zählte nicht. Hatte er überhaupt schon einmal gegen ein Gesetz verstoßen? Gut, er hielt sich nicht unbedingt immer an Geschwindigkeitsbeschränkungen und setzte vielleicht den ein oder anderen Posten zu viel von der Steuer ab, aber das war genauso sehr der Fehler seines Steuerberaters wie sein eigener. Als Teenager hatte er einmal einen Schokoriegel geklaut, nur um zu sehen, ob er es konnte. Das war die Gesamtsumme seiner Vergehen, und er war bereit, sie alle zu gestehen, um zu zeigen, wie absurd es war, ihn einer schwerwiegenderen Tat zu verdächtigen. Wirklich, hätte er gern gesagt, das ist doch alles absurd! Sie haben nicht nur den falschen Mann erwischt, sondern auch die falsche Sorte Mann. Die falsche Sorte Muslim. Er war in seinem ganzen Leben kaum einmal in einer Moschee gewesen.
    Seine Eltern, die in den 1960er Jahren in die USA eingewandert waren, hatten die Moderne zu ihrer Religion gemacht und waren fast puritanisch freigeistig gewesen. Er hatte keinerlei religiöse Erziehung genossen und aß Schweinefleisch, obwohl es in seiner Kindheit nicht auf den Tisch gekommen war. Er hatte jüdische, katholische und atheistische Freundinnen. Vielleicht war er nicht direkt ein Atheist, auf jeden Fall aber ein Agnostiker, was vielleicht bedeutete, dass er überhaupt kein Muslim war. Wenn die Agenten zurückkamen, würde er ihnen genau das sagen.
    Aber als sie zurückkamen, ganz gemächlich, Witze

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