Der amerikanische Architekt
paar Tage später hörte er sich zum Bauleiter sagen: »Dürfte ich vielleicht eine andere Stelle für diesen Leitungsschacht vorschlagen? Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben«, und erkannte, dass der Unterschied nicht darin lag, wie er behandelt wurde, sondern wie er selbst sich verhielt. Normalerweise auf Baustellen eher ruppig, war er vorsichtig und überhöflich geworden, darauf bedacht, nur ja keinen Anlass für Beunruhigung oder Kritik zu bieten. Er hasste dieses neue, übervorsichtige Ich, dessen Bemühen, es allen recht zu machen, auf ein schlechtes Gewissen schließen ließ, konnte es aber nicht wieder abschütteln.
Am Flughafen bemühte er sich, seine Selbstachtung zu wahren, obwohl sein neues Alter Ego zu Unterwürfigkeit riet. Die Fragen der Agenten waren allgemein, banal und voller Unterstellungen, seine Antworten lakonisch. Als sie ihn nach seiner Adresse fragten, nannte er sie ihnen, als sie ihn zum zweiten Mal fragten, was er in Los Angeles gewollt habe, sagte er ihnen auch das. Kaum hatte er ihn gemacht, bereute er seinen Vorschlag, sich mit dem Kunden, dem Direktor des Theaters, in Verbindung zu setzen. Aber sie schienen sowieso nicht daran interessiert.
»Wahrscheinlich gibt es eine ganze Menge Leute, die wir anrufen könnten, um etwas über Sie zu erfahren«, sagte der Agent, dem Mo den Spitznamen »Flipper« verpasst hatte, weil seine an die Oberschenkel gepressten Hände ständig zuckten, als stehe er vor einem Flipperautomaten. Flipper begleitete seine Bemerkung mit einem Lächeln, wie um zu sagen, wenn auch nicht verbindlich, sie sei scherzhaft gemeint.
Sie erkundigten sich nach den Reisen, die er in den letzten Monaten unternommen hatte, wollten wissen, wo er geboren war.
»In Virginia. Also in Amerika. Was bedeutet, dass ich amerikanischer Staatsbürger bin.«
»Niemand hat das Gegenteil behauptet.« Flipper ließ eine Kaugummiblase platzen.
»Lieben Sie dieses Land, Mohammad?«
»So wie Sie auch.« Die Antwort schien ihnen nicht zu gefallen.
»Welche Einstellung haben Sie zum Dschihad?«
»Gar keine.«
»Vielleicht könnten Sie uns zumindest sagen, was Dschihad bedeutet. Mein Kollege hier ist nicht so gut in Fremdsprachen.«
»Ich weiß nicht, was Dschihad bedeutet. Ich habe den Ausdruck noch nie benutzt.«
»Sie sind also kein praktizierender Muslim?«
»Praktizierend? Nein.«
»Nein?«
»Ja.«
»Ja? Ja oder nein? Sie bringen mich ganz durcheinander.«
»Nein. Ich habe nein gesagt.«
»Kennen Sie irgendwelche Muslime, die Amerika schaden wollen?«
»Nein. Und ich kenne auch keine Kommunisten.«
»Wir haben nicht nach Kommunisten gefragt. Glauben Sie, dass Sie in Ihren Himmel kommen, wenn Sie sich selbst in die Luft sprengen?«
»Ich würde mich nie selbst in die Luft sprengen.«
»Aber wenn Sie es täten …«
Mo antwortete nicht.
»Schon einmal in Afghanistan gewesen?«
»Was sollte ich da?«
Sie tauschten Blicke aus, als sei eine Frage als Antwort ein Ausweichmanöver.
»Kaffee?«, fragte Flipper.
»Gern«, sagte Mo knapp. »Ein Stück Zucker, nur wenig Milch.« Der Agent, der an der Tür stand, verschwand nach draußen.
Mo sah auf die Uhr: nur noch eine halbe Stunde bis zu seinem Abflug.
»Ich muss meinen Flieger erwischen«, informierte er den Raum, der keine Antwort gab.
Der Kaffee war schwarz und ungesüßt. Mo trank ihn trotzdem, zögerte seine Antworten hinaus, indem er vorsichtig daran nippte, versuchte, sich seine Verachtung für den banalen Schnitt ihrer Jacketts und ihre trotz aller Fragen so offenen, harmlosen Gesichter nicht anmerken zu lassen. Aber er hasste die Plumpheit der Befragung. Als Flipper wissen wollte: »Kennen Sie irgendwelche islamistischen Terroristen?«, konnte sich Mo ein abfälliges Schnauben nicht verkneifen.
»Heißt das ja oder nein?«, fragte Flipper.
»Was meinen Sie wohl?«, fauchte Mo, der allmählich wütend wurde.
»Wenn ich eine Meinung hätte, würde ich nicht fragen«, gab Flipper zurück und kippelte auf seinem Stuhl so weit nach hinten, dass nur seine Fingerspitzen, die leicht auf dem Tisch lagen, ein Umfallen verhinderten. Dann katapultierte er sich ohne jede Vorwarnung nach vorn. Die Stuhlbeine knallten auf den Boden, seine Hände auf den Tisch. Sein Gesicht – der helle Flaum zwischen seinen Augenbrauen, der dunkle Blutfleck in seiner Iris – war Mo nun so nah, dass er den leisen Zimtgeruch seines Atems riechen konnte. Die Bewegung, so exakt berechnet, so beiläufig ausgeführt, musste
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