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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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Spielen, Einkäufen und Wohltätigkeitskomitees. Claire redete sich ein, sie habe dieses Leben gewollt. Aber als Cal, der sich für die Arbeit fertig machte, zum zweiten Mal fragte, ob sie schon einen Tennislehrer für William gefunden habe, fauchte sie ihn an: »Wenn es dir so wichtig ist, spiel doch selber den Privatsekretär für einen Vierjährigen!«
    Mit ruhiger und nervtötend verständnisvoller Stimme sagte er: »Wenn du willst, kann ich das gern übernehmen.« Woraufhin sie sich nur noch schlechter fühlte. Der Anruf würde zwei Minuten in Anspruch nehmen, weit weniger, als es dauern würde, ihm klarzumachen, wie ihr dabei zumute war, dass ihr Leben sich darauf reduzierte, Trainer für Kleinkinder anzurufen. Es war einfacher, ihre schlechte Laune damit zu entschuldigen, dass Penelope so unruhig geschlafen hatte, und am Bahnhof hatten sie sich mit einem versöhnlichen Kuss verabschiedet. Aber anscheinend war es keine echte Versöhnung gewesen, denn anschließend war sie in den Pool gesprungen, um gegen ihre immer noch anhaltende Verärgerung anzuschwimmen, die ebenso wie die körperliche Bewegung dafür sorgte, dass sie sich trotz der leisen Kühle der Luft so erhitzt fühlte.
    Fünfundvierzig Minuten später stieg sie innerlich wieder ruhig aus dem Pool und legte sich an den Beckenrand, um ein bisschen Sonne zu tanken, bis ihr Herzschlag sich wieder normalisiert hatte. Aus dem Babyfon drang das leise Geplapper ihrer aufwachenden Tochter. Abgesehen davon war nur das Klimpern der Marken des Hundes zu hören, der sich kratzte, das Plätschern des Wassers und das unermüdliche Klopfen eines Spechts irgendwo in der geschwungenen Linie der Fichten und Ahornbäume, die den Rasen säumten. Als sie barfuß zum Haus zurückging, hörte sie das Telefon klingeln – ganz normal – und fing an zu laufen.
    »Mami, du riechst wie der Pool«, schnupperte William einen Tag später – oder waren es zwei? – an ihr herum. Sie hatte, seit sie die Nachricht erhalten hatte, nicht einmal an Duschen gedacht. Sie konnte einfach nicht vergessen, dass sie sich im Wasser geaalt hatte, während ihr Mann ein Opfer der Flammen wurde. Was hatte das zu bedeuten? Es war wie ein mythisches Rätsel, wie ein ominöses Gedicht, dessen Bedeutung sich ihr nicht erschließen wollte.
    Es war Cals Hand, nach der sie im Geist gegriffen hatte, als sie am gestrigen Abend in Gracie Mansion Mohammad Khans Namen las, Cals Entrüstung, die sie zum Ausdruck gebracht hatte, aber sie hatte auch nach Cals ganz eigener Haltung gesucht. Zwei Jahre waren vergangen. Er erschien ihr in ihren Träumen, verschwand aber, sobald sie aufwachte, und sie umschrieb ihn mit Adjektiven – positiv, überschäumend, klug, prinzipientreu –, die nicht wirklich etwas aussagten.
    An diesem Vormittag sprang sie nicht in den Pool, sondern ging in Cals Arbeitszimmer. Klein, mit Eichenholz getäfelt, ein winziges Kabuff in einem Haus großzügig geschnittener Räume, war es Cals Rückzugsort gewesen, und in den Monaten nach seinem Tod auch ein Rückzugsort für Claire. An besonders schlimmen Tagen, wenn die Einsamkeit in ihr wütete oder die Kinder ununterbrochen quengelten, ging sie in dieses Arbeitszimmer und verließ es gestärkt durch das Gefühl von Cals Gegenwart. Besser ein Puppenhaus als gar kein Haus. Das Arbeitszimmer war mehr oder weniger noch genau so, wie er es zurückgelassen hatte, unverändert, eine Art Museum. Wenn die Kinder groß genug waren, würde sie ihnen erlauben, seine Bücher in die Hand zu nehmen und zu lesen, in seinen Papieren und Unterlagen herumzustöbern. In den ersten Monaten hatte sie das selbst oft getan. Jetzt konnte sie sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal an seinem Schreibtisch gesessen hatte.
    Sie machte es sich bequem und betrachtete das Gemälde an der dem Schreibtisch gegenüberliegenden Wand. Es war in einem dunklen Rotbraun gehalten, das sich in der Mitte schwärzlich verklumpte. »Ich muss dabei an eine Geburt denken«, hatte sie an dem Abend, an dem sie es in einer Galerie in Chelsea entdeckten, mit leicht angewiderter Stimme zu Cal gesagt. »Du irrst dich«, hatte er in einem Ton geantwortet, der wie immer, wenn er ihr widersprach, ebenso respektvoll wie überzeugt war. Am nächsten Tag hatte er das Bild gekauft, und Claire hatte so getan, als sei der Preis ihr gleichgültig. Aber inwiefern irrte sie sich? Dass es an eine Geburt erinnerte? Davon hatte er eine ebenso unklare Vorstellung wie sie selbst: Sie waren damals

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