Der amerikanische Architekt
auf sie zu, und Nasruddin sah, dass sich einige der kräftigeren Kameramänner in der Gruppe nach vorn schoben und ein paar Frauen hektisch auf ihre Handys einhämmerten und andere mit den Armen fuchtelten, um die Polizei auf sich aufmerksam zu machen, die sich auf sie zubewegte und auf die Menge einschrie: »Zurück! Zurück!«
Die Menge drängte trotzdem vor. Die Reporter drückten sich an das Gebäude, die Frauen unter ihnen hielten sich an den Händen. »Ihr habt sie umgebracht!«, schrien die aufgebrachten Nachbarn. Nasruddin wusste nicht, ob sie das wörtlich meinten – hatte einer der Reporter sie erstochen? – oder nur, dass sie sie durch ihre Berichterstattung in Gefahr gebracht hatten? Er wurde derart geschubst und gestoßen, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte, dennoch sah er, dass die Polizisten nach ihren Waffen griffen, und er schrie, auf Bengali und auf Englisch: »Geht zurück! Überlasst sie der Polizei! Geht zurück!«
In diesem Augenblick sah er, dass Alyssa Spier von dem wütenden Mob herumgewirbelt wurde. Auf ihrem Gesicht lag Angst, und er hasste sich dafür, dass es ihm eine Befriedigung war, diese Angst zu sehen. Er drängte sich zu ihr durch. »Kommen Sie, kommen Sie«, sagte er und packte sie grob am Arm. Sie wehrte sich, hielt ihn für ein weiteres Mitglied der wütenden Menge. »Wir kennen uns, Sie kennen mich, ich will Ihnen helfen«, zischte er durch zusammengepresste Zähne, und sie gab nach. Er zerrte sie hinter sich her, bis er einen Polizisten sah, und stieß sie ihm praktisch in die Arme. Es war richtig, dass er sie beschützte, was immer sie getan hatte, aber innerlich wütete er genauso wie der Mob.
»Beschützen Sie sie«, sagte er zu dem Polizisten. »Sie ist hierfür verantwortlich.«
23
I n der aufgebrachten Menge eingekeilt, hatte Alyssa sich zum ersten Mal in ihrem Leben als Reporterin nach Anonymität gesehnt. Umgeben von blitzenden Augen, verzerrten Mündern, stoßenden Händen, stampfenden Füßen, dem Geruch nach Schweiß und den unverständlichen Worten in einer fremden Sprache, war ihre größte Angst die gewesen, dass man sie als die Person erkennen könnte, die Asma Anwar der Gefahr ausgesetzt hatte – sie erst als Illegale bloßgestellt hatte, dann als reich, und dann fast auf die Minute genau angegeben hatte, wann sie das Land verlassen würde ( RAUS HIER !, hatte die Schlagzeile der Post an diesem Morgen gelautet). Wenn man sie erkannte, würden die Leute sie in Stücke reißen. Stattdessen hatte der einzige Mensch, der sie erkannte, sie gerettet und einem Polizisten übergeben, der sie in die Sicherheit eines Einsatzwagens gestoßen hatte. Trotz all ihrer Angst wünschte sie sich im selben Augenblick, in dem sie sich vor der Menge sicher wusste, wieder in sie zurück. Zum ersten Mal in ihrer Erfahrung waren die Nachrichten ein physisches Phänomen gewesen, das sie absorbiert und hin und her geschleudert hatte, als befände sie sich in der Blutbahn irgendeines Lebewesens. So dicht war sie noch nie daran gewesen, über einen Krieg zu berichten.
Alyssa sagte der Polizei alles, was sie gesehen hatte. Viel war es nicht, da sie sich nur am äußeren Rand des Reporterrings rund um Asma Anwar befunden hatte. Um alles noch schlimmer zu machen, verlor sie eine ganze Stunde Berichterstattungszeit, weil ihr Retter gesagt hatte: »Sie ist hierfür verantwortlich.« Drei unterschiedliche Kriminalbeamte zwangen sie, Wort für Wort, Artikel für Artikel durchzuspielen, was er damit gemeint haben könnte. Als sie fertig waren, hatte die Menge sich aufgelöst, und mit ihr alle für ein Interview geeigneten Zeugen, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihre Kollegen zu befragen.
Sie hatte keine Ahnung, wer Asma getötet hatte. Niemand wusste etwas. So viele Menschen hatten sich um sie gedrängt, dass nicht einmal das aufgenommene Filmmaterial etwas Hilfreiches ergeben hatte. Aber das änderte nichts daran, dass immer neue Spekulationen in die Welt gesetzt wurden. Debbie Dawson von den SAFI s war überzeugt davon, es müsse ein Wahhabit gewesen sein, der Anstoß daran nahm, dass sich eine Frau eine Rolle in der Öffentlichkeit angemaßt hatte. »Da sehen Sie, was die sich gegenseitig antun!«, sagte sie im Fernsehen immer und immer wieder. Ohne jeden Beweis dafür zu haben, war Chaz sicher, dass es ein Landsmann aus Bangladesch gewesen war, der Asma ihren Reichtum missgönnte. Issam Malik vom MACC beharrte darauf, Asma sei von einem islamophoben Täter
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