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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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Schwäche zu überspielen.
    »Wieso dann jetzt aufhören, Sean? Wenn du das Gefühl hast, dass es sowieso bald vorbei sein wird? Du stehst kurz davor, etwas zu erreichen, etwas Wichtiges. Wieso jetzt aufhören? Wieso sie sagen lassen, dass wir nicht wissen, was wir wollen?«
    »Wenn ich mich dieser Gedenkstätte in den Weg stelle, blockiere ich damit irgendetwas. Aber ich erreiche nichts damit. Sie werden mich nicht auffordern, stattdessen eine andere Gedenkstätte zu entwerfen. Ich muss einen anderen Weg finden, zu sein. Einen anderen Grund, zu sein.«
    »Abgesehen von Gott gibt es keinen höheren Grund als die Familie, vor allem nach dem, was uns widerfahren ist.« Ihre Augen schimmerten im gedämpften Licht wässrig, ob vor Traurigkeit oder Alter, konnte er nicht sagen. Er ließ seine Knöchel knacken und sah, wie sie bei dem Geräusch zusammenzuckte.
    Sie beugte sich wieder über die Stickerei, und er zupfte an losen Fäden an seinem Ärmel herum – beide damit beschäftigt, sich gegenseitig zu erschaffen und den Vorgang gleich wieder rückgängig zu machen.
    »Ich habe nie viel von dir verlangt, Sean«, sagte sie dann. Ihre Ohren legten sich ein wenig zurück. »Ich würde sagen, dass wir sehr wenig von dir verlangt haben. Aber ich habe dich um das hier gebeten, ich habe dich angefleht, diese Gedenkstätte zu verhindern. Und jetzt willst du einfach aufhören, bevor die Arbeit getan ist, so wie du fast alles in deinem Leben einfach liegengelassen hast, nur halb erledigt, halb kaputt. Wahrscheinlich sollte ich nicht überrascht sein. Aber ich kann wütend sein.« Ihre Stimme wurde mit jedem ihrer Worte schärfer.
    »Ich will dich nicht enttäuschen, Ma. Das ist das Letzte, was ich will. Aber mein Herz ist nicht mehr dabei. Und das bedeutet, dass ich ein lausiger Kämpfer sein würde.«
    »Meinst du, mein Herz war bei allem dabei, was ich in diesem Leben tun musste? Woher hast du die Idee, dass man selbst entscheidet, wie man leben will, je nachdem, wie man sich fühlt, wenn man morgens aufwacht? Von mir nicht. Als du geboren wurdest, ging es mir sehr schlecht.« Er hob den Kopf. Das war ihm neu. »Fünf Kinder, ein sechstes schien einfach zu viel. Heute haben die Ärzte wahrscheinlich einen speziellen Namen dafür, aber ich wusste nur, dass ich müde war und irgendetwas für mich selbst wollte. Ich wollte mich selbst zurück, das trifft es vielleicht eher. Um die Wahrheit zu sagen, habe ich deinen Vater gehasst, weil er dich gemacht hat. Und so bin ich nach deiner Geburt ein paar Wochen weggegangen.« Sie sah ihn an, ruhig, ohne Entschuldigung. »Vielleicht war nur Patrick alt genug, um sich daran zu erinnern. Vielleicht hat Frank deshalb seit jeher eine Schwäche für dich, obwohl du uns so viel Ärger gemacht hast. Ich bin einfach weggegangen. Ich habe das Haushaltsgeld genommen, das ich für Notfälle gespart hatte – dein Vater war nie gut darin, für Notfälle zu planen, also musste ich es tun –, und bin die Ostküste rauf und runter gefahren. Rehoboth. Rhode Island. Es war Winter. Ich bin einfach am Strand spazieren gegangen. Ich hatte seit Jahren nicht mehr so viel Zeit mit mir allein verbracht. Hatte seit Jahren überhaupt keine Zeit allein verbracht. Dann kam ich zurück und tat meine Pflicht. Ich kam zurück, weil es meine Pflicht war. Und ich habe deinen Vater nicht ein einziges Mal gefragt, wie er in dieser Zeit zurechtgekommen ist, allein mit sechs Kindern, eins davon ein Neugeborenes.« Ihr Lachen platzte aus ihr heraus, zerknitterte ihr Gesicht wie ein Hammer eine Zementplatte. Es war, als hätte allein der Gedanke daran, wie Frank für ein paar Wochen ihre Last geschultert hatte, ihr dabei geholfen, sie all die Jahre danach zu tragen.
    »Ich kam zurück, weil es außerhalb dieser Familie nichts gab«, sagte sie. »Und du wirst ohne sie nichts sein.«
    »Vielleicht sollte ich von Anfang an nichts sein«, schoss er zurück.
    »Ich habe schon einen Sohn verloren«, sagte sie. »Ich will nicht noch einen verlieren.« Sie verstummte, nahm ihre Stickerei wieder auf. Kleine Finger, ruhige Hand. Auch daran würde er sich erinnern.
    »Wieso solltest du mich verlieren?«
    »Du kannst nicht nur halb in dieser Familie sein. Entweder du gehörst dazu, oder du tust es nicht. Du willst weiter hier leben wie ein Pazifist, der sich plötzlich zum Kämpfen zu gut ist, aber immer noch unser Essen essen, deine Füße am Feuer wärmen, während wir anderen uns im Krieg mit Blut besudeln? So funktioniert das

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