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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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beeinträchtigen, hatte Emmanuel Roi eine Quarantäne über Mo verhängt und ihm jeden Kontakt mit Kunden oder Bauunternehmern untersagt. Thomas redete, zu oft, über ihre eigene Firma – »Wir werden mehr Aufträge bekommen, als wir annehmen können, wenn der Garten erst einmal fertig ist.« Aber seine Worte klangen blechern, gezwungen.
    Er rief Laila an, um sie um Rat zu fragen.
    »Achte gar nicht auf das, was Malik sagt«, sagte sie. »Du bist nicht schuld an Asmas Tod.« Richtiger wäre, dass er nicht allein schuld daran war, dachte er. Historische Ereignisse waren ebenso wie die Skyline einer Stadt das Ergebnis des Zusammenwirkens vieler Dinge.
    »Gib nicht auf.« Ein bittender Ton lag in ihrer Stimme. »Wenn du aufgibst, wäre das, als sei Asma umsonst gestorben.«
    Die Aufzeichnungen der letzten Stunde ihres Lebens spielten sich in seinem Kopf ebenso oft ab, wie sie in jedem Fernsehsender gezeigt wurden. Asmas zierliche Gestalt die Achse einer wirbelnden Menge, deren gefährliche Demokratie Mo in seiner Einsamkeit bestätigte. Laila, die Asmas Sohn in den Armen hielt, die Sonne auf ihrem Gesicht erloschen. Was Mo als Erstes empfunden hatte, war Schock, jetzt aber war die Angst sein ständiger Begleiter: das Gefühl, wenn es Asma zugestoßen war, könne es auch ihm zustoßen, ganz gleich, wie viele Vorsichtsmaßnahmen er ergriff. Sollte er seinen eigenen Tod riskieren, um ihren lohnenswert zu machen? Sich selbst für eine Gedenkstätte opfern, die sein Land womöglich nie annehmen würde? Oder am Leben bleiben für die Arbeit, seine beste Arbeit, die noch vor ihm lag?
    »Ich möchte nur noch eines hinzufügen«, hörte er Claire Burwell sagen. »Mr Khan sagt, dass man nicht von ihm verlangen dürfte zu erklären, was genau der Garten ist oder wo er herrührt, und er hat recht.« Sie blickte direkt in die Kamera. »Aber ich möchte trotzdem, dass er es tut.«
    An seinem zweiten Tag in Kabul hatte Mo die Botschaft angerufen und gesagt, er sei krank und könne nicht an den Veranstaltungen teilnehmen. Dann war er losgezogen, um die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Bei sich hatte er einen dreißig Jahre alten Reiseführer aus dem Zeitschriftenkiosk des Hotels, aber von der funkelnden, kosmopolitischen Hauptstadt, die ihm darin versprochen wurde, waren nur noch marode Überreste zu sehen – von Kugeln zernarbte Fassaden, verrammelte Restaurants, tote Architektur. Der Kabul-River war nur noch ein stinkendes Rinnsal, in dem Wäsche gewaschen wurde, und von den Gärten, die mogulische Herrscher einst an seinen Ufern angelegt hatten, war keine Spur mehr geblieben. Das einzige, was in Kabul noch blühte, waren Abwässer und Abfälle.
    Er ignorierte Hunger und Durst, überquerte eine Brücke und begann, einen steilen, staubigen Pfad emporzusteigen. Die Luft wurde immer trockener und dünner. Unter ihm breitete sich die Stadt aus wie ein riesiger Teppich in einem nicht zu entziffernden Muster, jedes Haus, jedes Leben ein Knoten darin. In der Ferne ragten die Berge aus einer niedrig hängenden Dunstglocke.
    Er befand sich in einer Art Slum. Die Hügel Kabuls waren den Armen überlassen worden. Abfall häufte sich in den Gossen entlang der ungepflasterten Wege, die der Regen in Matsch verwandeln würde. Kinder schleppten Kanister und Plastikeimer mit Wasser nach Hause, überall roch es nach Essen. Die Lehmhäuser, abgeschottete, rechteckige Gebilde mit dicken Mauern und hohen Fenstern, die es unmöglich machten, ins Innere zu blicken, kehrten ihm den Rücken zu, verwandelten den Weg in eine Schlucht. Alles verbergen, nichts offenlegen. Frauen in Burkas hasteten vorbei, ihre Stimmen glucksende Bäche unter den verhüllenden Stoffbahnen. Männer sahen ihn neugierig an oder lächelten oder grüßten ihn mit weich fließenden Wortkaskaden, die er nicht verstand. Ein paar Jungen liefen ihm nach. »Amerikan?«, fragte einer von ihnen und kicherte, als Mo nickte. Ihre Gesichter waren dreckig und schrundig, ihre Haare verfilzt, ihre Kleider staubig, ihre Augen neugierig und fröhlich.
    Er war immer noch hungrig, noch durstiger als vorhin – und dann, urplötzlich, verflüssigte sich sein Magen, gab grollende Geräusche von sich, verkrampfte sich. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn. Er überlegte, was er gegessen hatte – war das noch blutige Steak in diesem französischen Restaurant Schuld? Aber das Problem war nicht, was er zu sich genommen hatte, sondern wo er es wieder von sich geben konnte. Im Schatten eines Hauses

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