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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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wenigen Frauen im Raum. »Wir können doch nicht alles panzern?«
    »Es geht nicht um Panzerung«, sagte Henry. »Sondern um intelligente Architektur.«
    Er legte ein Dia ein, das eine Reihe von Koniferen zeigte, die eine grüne Trennlinie zwischen einem sterilen Platz und einem typischen Bürogebäude bildeten.
    »Zypressen«, sagte Henry. »Hervorragend dazu geeignet, die kinetische Energie einer Explosion abzufangen. Kräftige Stämme, schuppenartige Blätter. Sie halten dicht. Und sie sehen nicht – abschreckend aus. Sie müssen sie sich als Verteidigungslinie vorstellen.«
    »Und die Regierung wird das alles zahlen?« Der Architekt, der diese Frage stellte, klang aggressiv. »Ich meine die Barrieren und das splittersichere Glas und die Zypressen? Solange Sie nicht beweisen können, dass es nächste Woche einen terroristischen Anschlag geben wird, wird doch kein Bauherr Geld für so etwas hinblättern.«
    »Hier geht es um präventive Architektur«, sagte Henry.
    »Oder um präventive Kreativität.« Gelächter.
    »Wenn ich daran denke, wie viel Geld ich zum Fenster rausgeworfen habe, um zu lernen, wie man Gebäude ansprechend und einladend gestaltet …«
    »Wir haben doch schon überall diese verdammten Kameras – reicht das denn nicht?«
    »Vielleicht sollten wir einfach alle öffentlichen Bereiche abschaffen«, sagte der Mann, der das Rucksackverbot vorgeschlagen hatte.
    »Oder alle Muslime.«
    »Aber, aber«, tadelte Henry.
    Mo blickte aus dem Fenster. Die Sonne am grauen Himmel sah aus, als sei sie in Schmutzwasser getaucht worden.
    Von London aus sollte Mo nach Kabul fliegen, wo es um den Neubau der amerikanischen Botschaft ging. Bei einem Bier hatten Mo und Thomas darüber spekuliert, wieso Roi beschlossen hatte, ausgerechnet Mo zu schicken, waren aber zu keinem Ergebnis gelangt. Dafür hatten sie einen Alkoholpegel erreicht, der sich negativ auf Thomas’ eheliche Harmonie auswirken würde. Zu ihren Theorien gehörten: Roi wollte Mo dafür entschädigen, dass er ihn nicht befördert hatte, indem er ihn auf eine internationale Vergnügungsreise schickte, die einen kostenlosen Aufenthalt in London beinhaltete, und die Teilnahme am dortigen Antiterrorismus-Seminar würde sich auf den Briefbögen der Firma gut machen, Roi wollte Mo bestrafen, indem er ihn nach Kabul schickte, Roi wollte die Chancen der Firma, den Auftrag für den Bau einer Botschaft in einem muslimischen Land zu bekommen, dadurch erhöhen, dass er einen Muslim schickte, oder er wollte sichergehen, dass sie den Auftrag nicht bekamen, indem er einen Muslim schickte.
    »Er will zeigen, dass er dich nicht für einen Risikofaktor hält«, sagte Thomas. »Oder, zynischer ausgedrückt, vielleicht hält er dich in diesem Fall für einen Vorteil.«
    »Wieso? Wegen meines speziellen Einblicks in die Funktionsweise von Terroristenhirnen?«
    Nachdem er eine Weile mit dem Gedanken gespielt hatte, Roi zu sagen, er könne ihn mal, beschloss er, den Auftrag anzunehmen, in erster Linie, um dem aufgeblasenen Stormtrooper nicht ständig über den Weg laufen zu müssen. Aber auch, weil er den Typ Muslim, als der er auf dem Flughafen von L.A. behandelt worden war – den gläubigen, primitiven, gewaltbereiten Muslim –, einmal mit eigenen Augen sehen wollte. Als die Agenten am Flughafen gefragt hatten, »Schon mal in Afghanistan gewesen?«, hatten sie seine Zukunft vorweggenommen.
    Er verschlief fast den ganzen Flug von Dubai nach Kabul. Beim Aufwachen fiel sein Blick auf eine hellhäutige Frau auf der anderen Seite des Gangs, die eine lange Tunika über ihr eng sitzendes T-Shirt zog und sich ein Tuch um den Kopf band. Die gewaltigen, braunen zerklüfteten Hänge des Hindukusch breiteten sich unter ihnen aus.
    Kabul lag in einem von Bergen gesäumten Tal. Das Flugzeug hüpfte auf die Landebahn wie ein Basketball auf ein Spielfeld. Schnee überpuderte die Gipfel, Staub erstickte die Stadt. Als Mo ausstieg, atmete er staubige, knochentrockene Luft. Die Sonne war so grell, dass er die Augen mit der Hand abschirmen musste, und er sah amerikanische Hubschrauber, amerikanische Flugzeuge und amerikanische Soldaten, die die Landebahn säumten.
    Nach dem Chaos der Einreiseformalitäten und an der Gepäckausgabe, wo grauhaarige Männer ein paar Dollar »Bakschisch« für seine eigenen Taschen verlangten, stieg er in das vom Hotel geschickte Auto, das ihn abholte. Der Verkehr war mörderisch, Kabul als Stadt ein Minotaurus – ein energiegeladener, hochgewachsener

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