Der amerikanische Architekt
war natürlich eine Lüge, da Emmanuel Roi sich von jedem bedroht fühlte, der Talent und Ehrgeiz besaß, also von jeder jüngeren Version seiner selbst. Aber das hatte ihn nie davon abgehalten, Mo erstklassige Aufträge zuzuschustern. Je größer Roi wurde, eine Ikone, ein Vorreiter, desto mehr und bessere Leute brauchte er um sich herum, um zu kaschieren, wie hauchdünn seine eigene Beteiligung an den einzelnen Projekten war. Zur Zeit leitete er dreiundsechzig Vorhaben in elf Ländern: Jeder, der nachrechnete – aber anscheinend tat das außer seinen Angestellten niemand –, konnte sehen, dass seine Beschäftigung mit jedem sich auf ein Minimum beschränken musste. Vielleicht hatte Mos ständiges Genörgel über diesen Zustand ihm die Beförderung vermasselt. Auch das konnte er nicht fragen: Das ging nicht bei einer Unterhaltung wie dieser, in der Worte nur dazu dienten, alle möglichen Täuschungen und Irreführungen zu bemänteln.
Emmanuel Roi fabulierte immer noch über die strahlende Zukunft, die auf Mo wartete, und, es war zum Auswachsen, über Percy Storms Führungsqualitäten, als Mo ihn unterbrach. »Hat es zufällig etwas damit zu tun, dass ich, dass ich … Sie wissen schon.«
»Nein, ich weiß nicht«, sagte Emmanuel, pikiert über die Unterbrechung, nicht über die nicht näher ausgeführte Unterstellung.
»Dass ich muslimisch bin?«
»Allein der Gedanke –« Emmanuel, der dieses Bruchstück einer Verneinung für ausreichend hielt, ließ seine Bärenpranken auf der Suche nach Ablenkung über den Schreibtisch wandern. Als er keine fand – auf der riesigen Glasplatte gab es keine Papiere, die man herumschieben konnte, nicht einmal eine verirrte Büroklammer –, fing er an, mit dem Zeigefinger auf seiner Computertastatur herumzuhacken. Jeder wusste, dass er sogar seine E-Mails diktierte, von den Ausführungen seiner Entwürfe ganz zu schweigen. Er modellierte Papier oder Pappe oder Blech und überließ es seinen jungen Architekten, sie in Computerbilder umzuwandeln. Das Herumgehacke auf der Tastatur war also eine reine Farce. Die Besprechung war vorbei.
»Natürlich«, murmelte Mo. »Entschuldigung.«
Ohne sich zu verabschieden, verließ er den Raum. Die neidischen Blicke seiner Kollegen, alle überzeugt davon, dass er soeben befördert worden war, folgten ihm, als er zum Ausgang ging. Ihre Fehleinschätzung, die nur allzu bald zurechtgerückt werden würde, verstärkte die Demütigung, die ihm mit klammem Griff die Kehle zuschnürte. Draußen fing er an, viel stärker zu zittern, als die Temperatur es rechtfertigte, und kein Flugzeug am Himmel konnte als Erklärung für das Dröhnen in seinen Ohren herhalten.
Er kramte die Erinnerung an das Verhör am Flughafen von Los Angeles hervor, schüttelte und plusterte sie auf, damit sie wieder etwas hermachte. Mo hatte keinen Beweis dafür, dass er nicht befördert worden war, weil er Muslim war, aber es gab auch keinen, der dagegen sprach. Wenn er einmal aus diesem Grund herausgegriffen worden war, wieso dann nicht ein zweites Mal? Paranoia war ebenso formbar wie Knete.
Als er irgendwann kurz nach seiner Nicht-Beförderung im dicksten Berufsverkehr in der U-Bahn saß, in der Ecke eines Waggons eingekeilt, stiegen vier schwarze Teenager ein und fingen an, die wie Sardinen zusammengezwängten Fahrgäste mit entrollten, aber glücklicherweise unbenutzten Kondomen zu bewerfen. Diese ließen die Tortur mit gesenkten Köpfen über sich ergehen, bis ein eher schmächtiger afro-amerikanischer Mann im Anzug die Teenager anfuhr: »Hört auf, hört sofort auf!« und zum Dank dafür erst recht mit Kondomen beworfen wurde. Kurz darauf stieg er aus, blieb Mo aber im Gedächtnis. Der Mann hatte sich, davon war ein mitfühlender Mo überzeugt, nur eingemischt, weil er sich durch das Verhalten dieser jungen Schwarzen selbst in Misskredit gebracht sah.
»Woher willst du wissen, dass er sich deswegen eingemischt hat?«, fragte Yuki, seit zwei Monaten seine feste Freundin, als er ihr die Geschichte abends erzählte. Sie war dabei, mit einer japanischen Gemüsereibe hauchfeine Scheiben von einer Birne zu hobeln. »Vielleicht hat er einfach nur Zivilcourage gezeigt.« Mo klammerte sich an seine üble Laune, als wolle Yuki, so hübsch, so rational, sie ihm wegnehmen.
Sie hatte lange Haare, einen schnurgerade geschnittenen Pony und trug zu jeder Jahreszeit am liebsten Miniröcke und teure Trenchcoats. Eigentlich war sie Architektin, hatte sich aber darauf verlegt,
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