Der amerikanische Architekt
angepasstes Bauen spezialisiert hatten. Also hing er während des monotonen Vortrags über »defensive Parameter« und »vorgefertigte Design-Lösungen« seinen Tagträumen nach und stellte sich vor, dass er sämtliche Vorgaben ignorieren und einen Bauplan einreichen würde, der sich an einer Ritterburg orientierte. Sicher, es gab hier keine Anhöhe, aber er könnte ja vorschlagen, einen Hügel aufzuschütten, eine Erhöhung. Das wäre echte »Architektur gegen Terrorismus« mitten in der Stadt …
Am Ende des Tages wurden die Architekten in eine Karawane aus Geländewagen verfrachtet und zu einer Besichtigungstour durch Kabul, ihr »örtliches Umfeld«, kutschiert. Der Fahrer wies sie auf das russische Kulturzentrum hin, eine halb zerfallene, pockennarbige Ruine, die nun Flüchtlinge und Junkies beherbergte.
»Denen ist es so ergangen, wie es allen großen Imperien ergeht«, murmelte Mo. »Unsere Botschaft wird genauso enden.«
»Wie wäre es mit einem bisschen Teamgeist?«, brummte der dickliche Architekt in mittleren Jahren, der neben Mo saß und aussah, als hätte er schon an zu vielen dieser Rundfahrten teilgenommen.
»Wir sind nicht im selben Team, schon vergessen?«, gab Mo zurück.
Nach einer Weile kamen sie an einen Kreisverkehr, der rundum von den aufgerissenen sandfarbenen Hülsen ausgebombter Gebäude gesäumt war, eine visuelle Entsprechung zur Seismografenlinie der Berge. Die klaffenden Krater stammten von Granaten, die während des Bürgerkriegs der 1990er Jahre geworfen worden waren, sagte der Fahrer. Für Mo besaßen die Ruinen eine zeitlose Qualität.
»Sieht aus wie in allen abgefuckten Dritte-Welt-Ländern«, sagte sein Nachbar.
Zum Essen wurden sie in einem französischen Restaurant abgesetzt, das sich hinter hohen Erdwällen verschanzte. Es hatte einen von Reben berankten Garten, einen kleinen Apfelhain und einen Swimming Pool voller Europäer und Amerikaner, die sich einen Spaß daraus machten, den anderen vom Beckenrand aus genau vor die Nase zu springen. Chlor, Majoran, Marihuana und geschmolzene Butter vereinten sich zu einer ungewöhnlichen, berauschenden Duftmischung.
»Was die Afghanen wohl hiervon halten würden«, sagte einer der Architekten mit einer Handbewegung auf die Bikini-bekleideten Frauen und Bier trinkenden Männer.
»Die dürfen hier doch nicht rein«, antwortete der Typ, der im Geländewagen neben Mo gesessen hatte. »Was glauben Sie denn, weswegen die eben unsere Pässe sehen wollten? Es ist besser, wenn sie nicht wissen, was ihnen alles entgeht.«
»Sexy Frauen und Obstbäume – was ihnen entgeht, ist ihr eigenes Paradies«, sagte jemand anderes am Tisch. Mo hatte sich bei den meisten nicht einmal die Mühe gemacht, sich ihre Namen zu merken. »Es wundert mich, dass sie sich nicht selbst in die Luft sprengen, bloß um hier reinzukommen.«
»Einige von ihnen haben das nicht nötig«, sagte Mos Nachbar aus dem Geländewagen, den Blick auf Mo gerichtet.
6
A uf Pauls Bitte hin hatten die Sicherheitsbeauftragten ihr ursprüngliches Dossier über Mohammad Khan um weitere Details zu seiner »Identität«, wie Paul es nannte, ergänzt. Ein Bote brachte ihm den überarbeiteten Bericht, als es schon lange dunkel war. Er nahm den Umschlag entgegen und trabte durch die Eingangshalle mit ihrem marmornen Fußboden und ihren opulenten Spiegeln in sein plüschig-konservatives Arbeitszimmer, setzte sich an seinen Louis-quinze-Schreibtisch und fing an zu lesen. Zunächst Khans beruflicher Werdegang: kometenhaft und daher nicht weiter bemerkenswert. Er war siebenunddreißig Jahre alt und hatte an der University of Virginia und in Yale Architektur studiert. Vier Jahre bei Skidmore, Owings und Merrill, sechs bei ROI . Er hatte ein Museum in Cleveland, einen Wohnturm in Dallas und eine Bibliothek in San Francisco entworfen, die so viel Lob einheimste, dass sogar Paul etwas darüber gelesen hatte. Zusammen mit Emmanuel Roi war er in einigen Artikeln namentlich genannt worden. Khan war ein aufsteigender Stern am Architektenhimmel, und das erinnerte Paul an die Zeit in seinem eigenen Leben, als seine Gier, ganz nach oben zu gelangen, schier grenzenlos schien. Im Nachhinein betrachtet waren die Erwartung und der Hunger von damals fast so befriedigend gewesen wie der Erfolg, den sie ihm eingebracht hatten.
Khan, hieß es im Bericht, war in Alexandria, Virginia, geboren und aufgewachsen. Seine Eltern waren 1966 aus Indien eingewandert, wahrscheinlich, vermutete Paul, kurz nachdem die
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