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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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nicht wirklich Ihr Ernst!«, sagte Mo, als die Berater gegangen waren. Er und Paul saßen mehrere Plätze voneinander entfernt am Tisch, Khan elegant zurückgelehnt, ein schlankes Bein über das andere geschlagen. Trotz aller Differenzen, dachte Paul, war ihr Umgang miteinander sehr angenehm.
    »Wenn Sie das Kleingedruckte lesen, werden Sie sehen, dass wir das Recht haben, Veränderungen zu fordern, zu verlangen.«
    »Und ich habe das Recht, sie abzulehnen, zu verweigern.«
    »Sicher. Aber wenn Sie unsere Veränderungsvorschläge akzeptieren, erhöhen sich vielleicht Ihre Chancen, das Okay der Gouverneurin zu bekommen.«
    Ein skeptisches Lächeln spielte um Khans Lippen. »Glauben Sie das wirklich?«
    »Meine Aufgabe ist es, Einvernehmlichkeit herzustellen«, erklärte Paul, ohne sich dazu zu äußern, auf welcher Seite er stand. »Wenn es keine gibt –«
    »Was dann? Soll das eine Drohung sein? Dann sagen Sie es direkt.«
    »Keine Drohung, nur ein Hinweis auf die Realitäten. Wir sind angehalten, in einen Dialog miteinander zu treten, der zu Verbesserungen führen soll. Wenn die Jury und die Gouverneurin nicht zufrieden sind, wird jedes weitere Vorgehen unmöglich sein. Kein ausgewählter Entwurf ist je endgültig. Jede Vision muss sich entwickeln. Schließlich sind wir die Auftraggeber. Niemand kann sich Kompromissen verschließen. Glauben Sie etwa, Maya Lin wollte diese Soldatenstatue in der Nähe ihrer Gedenkstätte haben?«
    »Aber wenn Sie Sicherheitsbedenken haben, sind die Mauern doch eine ideale Möglichkeit zu überwachen, wer kommt und wer geht. Sie könnten aus extrem solidem Material gemacht werden – verstärkt, explosionssicher, was immer Sie wollen. Ihre Argumente wirken auf mich … fadenscheinig, in Ermangelung eines besseren Ausdrucks. Ich könnte für jedes einzelne ein Gegenargument anführen, das ebenso überzeugend wäre. Überzeugender.«
    »Wir haben einleuchtende technische und finanzielle Gründe für alle gewünschten Änderungen.«
    »Sie würden den Charakter meines Entwurfs verändern.«
    »Einen Charakter, der, wie es sich trifft, inzwischen generell mit einem Paradies für Märtyrer gleichgesetzt wird. Selbst wenn das nicht Ihre Absicht war, wird es jetzt so verstanden – von Ihren Gegnern, und von den Gegnern Amerikas. Ich bin sicher, Sie haben die Äußerungen des iranischen Präsidenten gehört. Er ist entzückt – entzückt! –, dass es in Manhattan ein islamisches Paradies geben wird.«
    »Er ist ein Idiot.«
    »Jedenfalls ist Ihr Entwurf nicht sakrosankt. Schon mal Edmund Burke gelesen?«
    »Nein.«
    »Ich habe seine Abhandlung über das Erhabene und Schöne gerade noch einmal gelesen. Er stellt darin das Zufällige über die Geometrie, die Zahl und scheinbare Unordnung der Sterne, die Art, wie ihr Durcheinander eine Art Unendlichkeit darstellt –«
    »Ein Raster, das sich endlos teilt und unterteilt, kann auch eine Art Unendlichkeit darstellen.«
    »Sein Punkt ist, dass der Mensch versucht hat, der Natur durch gerade Linien und mathematische Formen aufzuzwingen, was sie zu tun hat, aber die Natur wollte sich nicht bezwingen lassen. Das schrieb er ungefähr zu der Zeit, als die englischen Gärten entstanden, Capability Brown und so weiter.« Pauls beiläufige Erwähnung dieser Dinge verriet nicht, dass er eine Stunde damit verbracht hatte, sich über die Entstehung und Verbreitung englischer Gärten zu informieren oder vielmehr die Informationen zu lesen, die er sich von Lanny hatte zusammenstellen lassen. »Und diese Gärten zeigten, dass der mathematische Ansatz nicht das wahre Maß für Schönheit ist.«
    »Ich wusste nicht, dass es in erster Linie um Schönheit ging«, sagte Mo.
    »Die Bedeutung der Abwechslung«, fuhr Paul fort, entschlossen, ihn zu ignorieren, bis er mit seiner Ausführung fertig war, »Komponenten zu haben, die nicht eckig sind, sondern miteinander verschmelzen, wie er es ausdrückt. ›Kein Werk der Kunst kann groß sein, wenn es nicht täuscht.‹«
    »Das ist doch mal was, da ich schließlich der Täuschung beschuldigt werde.«
    »Ja, gut, aber das hat er nicht gemeint – er meint die Täuschung des Auges.«
    »Es geht hier um eine Gedenkstätte, nicht um das Anwesen eines englischen Lords. Der Garten hat aus einem bestimmten Grund eine gewisse Ordnung, zum Ausdruck gebracht durch die Geometrie, und dieser Grund ist der, dass der Garten eine Antwort auf das Chaos ist, das uns aufgezwungen wurde. Er soll nicht natürlich aussehen oder an

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