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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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das Durcheinander erinnern, das der Anschlag hinterließ. Falls überhaupt, soll er an die Anlage der Stadt erinnern, in der er sich befindet.«
    Diese Halsstarrigkeit würde Khan zum Verhängnis werden, hoffte Paul. Aber merkwürdigerweise steigerte sie auch den Respekt, vielleicht gar die Zuneigung, die er ihm entgegenbrachte, und beschwichtigte vielleicht sogar sein schlechtes Gewissen. Khan besaß Power, Energie, Pauls Power, Pauls Energie. Wenn er nicht durch diesen Wettbewerb berühmt wurde, dann durch irgendetwas anderes. Er trug seinen eigenen Weg in sich.

13
    D ie Familien der Opfer waren zu einer Bootstour rund um Manhattan eingeladen worden. Wie bei allen derartigen Veranstaltungen rebellierte ein kleiner Teil Claires: Wie verlogen, so zu tun, als hätten sie alle eine andere Gemeinsamkeit als den Verlust, wie morbide, keine andere Gemeinsamkeit als diese Trauer zu haben. Die Trauer war ein Land, das sie sich nicht ausgesucht hatte, aber sie konnte entscheiden, wann sie es wieder verlassen wollte, obwohl sich das ein bisschen nach Verrat anfühlte. Auch außerhalb dieses Landes erinnerte man sich an die Toten, aber vielleicht nicht ganz so intensiv. Die bevorstehende Veränderung zeichnete sich schon seit Langem in Claire ab, in ihnen allen. Sie hatten geglaubt, dass es nicht weitergehen würde, dass sie nicht weitermachen könnten. Aber es war weitergegangen, sie hatten weitergemacht.
    Der Presse war eingeschärft worden: Keine Fragen zum Thema Gedenkstätte. Und den Familienangehörigen: Keine Bänder, keine Sticker, im Interesse der Kinder keine Streitigkeiten. Trotzdem rechnete Claire mit Anfeindungen und fragte sich, ob sie die Kraft haben würde, sich dagegen zu wehren. Das Boot tuckerte auf den Fluss hinaus, kurz darauf wuselten mit Werbegeschenken beladene Kinder um ihre Mütter herum, während die sich bemühten, ihren angeschwipsten Zustand vor Reportern zu verbergen, die auf der Suche nach neuen Ansatzpunkten waren. Irgendetwas, das über tränenreiche Erinnerungen und bewundernswerte Tapferkeit hinausging.
    Ihr Interesse an Claire war, falls möglich, noch größer als gewöhnlich, aber sie ließ sich auf nichts ein. »Das ist nicht der passende Ort für Politik«, fertigte sie einen Jungspund ab, der sich an sie herangepirscht hatte.
    Gestärkt durch einen Wodka-Tonic begann sie eine Unterhaltung mit einer anderen Witwe, Nell Monroe, die ihr sehr sympathisch war und deren Humor umso trockener wurde, je mehr sie trank. »Ich bin froh, dass du dich mit dieser ganzen Geschichte herumschlagen musst und nicht ich«, sagte Nell. »Meinetwegen könnten sie die Gedenkstätte von einem Marsmenschen bauen lassen. Es würde nichts an meinem Leben ändern. Es sei denn, der Marsmensch wäre daran interessiert, flachgelegt zu werden. Übrigens, bist du?«
    »Bin ich was?«
    »Flachgelegt worden.« Claires Sexleben, oder vielmehr die Tatsache, dass sie anscheinend keins hatte, war für die anderen Witwen ein immer wieder faszinierendes Thema. Das wusste sie von den wenigen, unter ihnen Nell, die sich nicht scheuten, mit ihr darüber zu reden. Sie hätte mit jedem ausgehen können, hätte jeden heiraten können, hieß es – die Hälfte aller Männer, die sie kannten, hatte ein Auge auf sie geworfen. Wieso also dieses nonnenhafte Getue? Kein Ehemann war unersetzlich, nicht einmal ein Heiliger wie Calder Burwell.
    Dass es niemanden gegeben hatte, stimmte nicht ganz. Bloß hatte Claire keinem etwas davon erzählt. Letzten Sommer, auf einer Fundraisingparty bei einem Nachbarn, war ein junger Mann vom Laufen zurückgekommen und hatte sich für seine Verspätung entschuldigt. Claire hatte den hochgewachsenen, muskulösen Körper unter dem schwarzen Joggingshirt und den schwarzen Shorts gemustert, das attraktive bärtige Gesicht, und einfach nur gedacht: Er. Jesse, ein Cousin der Gastgeber, wohnte für ein paar Monate in ihrem Pool-Haus und kümmerte sich um ihre Hunde und Kinder, bis er mit seinem Aufbaustudium mit Schwerpunkt Fotografie anfangen konnte. Er war zwölf Jahre jünger als Claire. Gegen Ende des Abends hatte sie ihn eingeladen, sich Cals Sammlung von Fotografien anzusehen, und sie hatten eine Affäre angefangen – eine Sandkastenaffäre, wie sie es nannten, weil sie sich nur trafen, wenn Claires Kinder anderswo zum Spielen verabredet oder übers Wochenende bei Cals Eltern waren.
    Jesse war so angenehm, offen und problemlos, wie er auf den ersten Blick gewirkt hatte, der Sex mit ihm befreiend. Sie

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