Der amerikanische Architekt
schöpfte daraus neue Energie und hörte immer wieder, sie habe seit dem Attentat nicht mehr so gut ausgesehen, so lebendig (was sie für eine unglückliche Wortwahl hielt). Ein paarmal lud sie ihn auch ein, wenn die Kinder zu Hause waren, und als sie sah, wie er mit William im Pool herumtobte oder seinen sonnengebräunten Körper als Laufsteg für Penelopes Puppen zur Verfügung stellte, hatte sie kurz mit dem Gedanken gespielt, das Ganze könne vielleicht mehr als nur eine Sommerliebelei werden. Aber sie steckte derart fest in der Zwangsjacke der Würde – der Würde der Witwe, der Würde der fast Vierzigjährigen, der Würde der wohlhabenden Frau –, dass sie ihm, als er im Herbst wegging, kaum zum Abschied nachwinken konnte.
Dieselbe Zwangsjacke – was für einen Eindruck würde das machen, ein jüngerer Mann, ein Niemand? – hinderte sie daran, Nell von der Affäre zu erzählen.
»Nicht in letzter Zeit«, sagte sie mit einem vagen Lächeln. »Und du?«
»Ich habe dir doch von diesem Chirurgen erzählt, oder?«
»Allerhöchstens dreimal«, neckte Claire.
Sie lachten immer noch, als William, den Tränen nahe, zu ihr gelaufen kam. »Mummy, die wollen mich kein Feuerwehrmann sein lassen.« Claire strich ihm zerstreut über die Haare. »William ist verrückt nach allem, was mit Feuerwehr zu tun hat«, sagte sie zu Nell. »Seine Laken, seine Schlafanzüge, sein Halloween-Kostüm. Ich versuche ständig, ihm eine neue Obsession einzureden, aber bis jetzt ohne Erfolg.« Nell lächelte William so mitfühlend an, wie Claire es, wie sie fürchtete, nicht getan hatte. Dann entschuldigte sie sich, um nach ihren eigenen Kindern zu sehen. »Wahrscheinlich sind sie der Grund dafür, dass wir überhaupt einen Feuerwehrmann brauchen«, sagte sie.
Claire kniete sich vor William. »Was ist passiert? Willst du nicht etwas anderes spielen? Wieso haben sie gesagt, du kannst kein Feuerwehrmann sein?« Er wich ihrem Blick aus, was für ihn untypisch war, und als sie ihn auf ihren Schoß hob, fing er an zu weinen. Rund um sie herum war die Party für die »Heldenkinder« in vollem Gang. Mikrofone und Kameras lauerten überall – sie sah eine in ihrer Nähe zögern und dann weiterschwenken, immerhin einsichtig genug, ein weinendes Kind in Ruhe zu lassen. »Was ist los, William?«, fragte sie noch einmal. Er konnte ihr immer noch nicht in die Augen sehen.
»Sie haben gesagt, ich darf wegen dir nicht der Feuerwehrmann sein.«
»Wer hat das gesagt?«
»Timmy und Jimmy.«
Die Hansen-Zwillinge. Stämmige, rotgesichtige Karottenköpfe. Unangenehme Raufbolde, fand sie. Auf einer Geburtstagsfeier hatte sie mitbekommen, dass sie Bozo den Clown fragten, wie viel er verdiente, während ihre Mutter so tat, als hätte sie nichts gehört, und die verschmierten Mundwinkel des Clowns sich noch weiter nach unten zogen. Aber schließlich waren sie erst acht Jahre alt. Sie wusste, dass Kinder zwischen den beiden Polen Fantasie und Nachahmung lebten. Sie mussten diese Idee von ihren Eltern haben. Immerhin hatten sie William nicht gezwungen, einen Terroristen zu spielen.
»Was genau haben sie gesagt?«
»Dass du die Bösen gern hast und ich deshalb nicht der Gute sein kann. Stimmt das? Magst du die Bösen?«
»Natürlich nicht«, antwortete sie und küsste ihn auf den Kopf. »Die beiden haben etwas durcheinandergebracht.« Dann bat sie ihn, nach Penelope zu sehen, die mit einem halben Dutzend anderer Mädchen vor dem noch unangeschnittenen Kuchen Wache hielt, und machte sich auf die Suche nach Jane Hansen, die in New Jersey lebte und immer noch aussah wie die Präsidentin der Studentinnenvereinigung, die sie einmal gewesen war. Alles an ihr, ihre Gesichtszüge, ihre Hochsteckfrisur, sah wie gemeißelt aus.
»Ihre Jungs scheinen William das Leben schwer zu machen, weil sie irgendeine komische Vorstellung von mir haben«, sagte Claire, ohne sich mit einem Hallo aufzuhalten. »Wo sie die wohl herhaben?«
»Woher soll ich das wissen?«, antwortete Jane. »Sie haben ihren eigenen Kopf.«
»Hören Sie«, sagte Claire, »William ist erst sechs! Er hat seinen Vater verloren.«
»Meine beiden auch«, antwortete Jane mit ruhiger Stimme, wobei sie Claire aber nicht in die Augen sah. Vielmehr betrachtete sie ihre Haarwurzeln, als wolle sie herausfinden, ob ihre Farbe echt war.
»Vergiss es«, mahnte eine Stimme in Claires Kopf, aber ihre wirkliche Stimme sagte: »Wenn Sie etwas zu sagen haben, sagen Sie es gefälligst mir. Und bringen Sie Ihren
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