Der amerikanische Buergerkrieg
Norden bald zu dem Bemühen, Einheit durch Druck herzustellen. Republikaner und Kriegsdemokraten entfalteten eine euphorisch anmutende unionspatriotische Stimmung, die partiell an das sogenannte Augusterlebnis von 1914 erinnert. Wie 1914 war die Begeisterung heftig, blieb aber auf einen überschaubaren Kreis der Bürgerschaft beschränkt. Die Befürworter des Kriegs zwangen jeden, den sie verdächtigten, mit dem Süden zu sympathisieren, Unionsfahnen zu hissen, darunter mit besonderer Vorliebe katholische Priester. Immerhin kam ein Teil der Republikaner aus der antikatholischen nativistischen Bewegung der 1850er Jahre, die den Katholizismus für den Zerfall der Union verantwortlich machte. Ein regelrechter symbolischer Kult um
Old Glory
, das Sternenbanner der Union, entfaltete sich. Gewalttätige Schlägerbanden erniedrigten und verprügelten vorgebliche Verräter und Feinde der Union. Im Süden gab es vergleichbare Versuche, ein Mindestmaß an Kriegsbegeisterung zu erzwingen.
Die militärische Führung beider Seiten hatte unterdessen ganz andere Sorgen. Ihr fehlte es an einem Plan. Die Staaten der Sezession hatten es relativ leicht, da sie auf Abwarten setzen konnten und notgedrungen auch mußten. Im Norden wären viele kriegsdemokratische Generäle, allen voran George McClellan, diesem Vorbild nur allzu gerne gefolgt. Aber je mehr Zeit bis zu einem entscheidenden Sieg der Union verstrich, um so schwieriger würde es, die Einheit des Staatswesens wiederherzustellen. Aus diesem Grunde forderte die Politik energisch eine militärische Aktion. Schließlich hatten beide Kriegsparteien, ohne zu ahnen, was ihnen bevorstand, die Mär in die Welt gesetzt, dieser Krieg werde nur ganze 90 Tage dauern. Allein für diesen Zeitraum waren die Freiwilligen einberufen worden. Sollten sie nicht unverrichteter Dinge umkehren, mußte gehandelt werden. Daher drängten Senatoren und am Ende auch der Präsident auf eineSchlacht, die alles wieder ins Lot bringen sollte. Dieses beständige Eingreifen der politischen Führung sollte die Kriegführung des Nordens in den kommenden vier Jahren ernsthaft behindern. Schlachten wurden aus politischen, nicht aus militärischen Gründen auf bestimmte Termine gelegt, und die einmal eingeschlagene militärische Marschroute konnte nicht eingehalten werden. Da hatte es der Süden zur Abwechslung leichter. Zwar standen auch die Befehlshaber der Konföderation unter politischem Druck, aber es fehlte ein Machtzentrum, das diesen Druck auf Dauer hätte aufrechterhalten können. Inmitten dieser Unklarheit kam es am 21. Juli 1861 bei Manasses oder Bull Run zur ersten großen Schlacht des Bürgerkriegs. Zum ersten Mal überhaupt wurden auf dem nordamerikanischen Kontinent Heere von mehreren 10.000 Mann gegeneinander geführt. Keine der beiden Kriegsparteien war darin geübt, solche Truppen zu leiten. Viele Politiker und Angehörige der besseren Gesellschaft Washingtons waren an diesem Tag vor die Tore der Stadt gefahren, um dem verheißungsvollen Spektakel beizuwohnen. Man trank Tee und picknickte, während ein unwilliger General McDowell für die Union und General Beauregard, unterstützt vom bald zur Legende gewordenen General Thomas Jackson, genannt Stonewall, ihre Einheiten in die Schlachtordnung brachten. Dabei wurde dann rasch – und je länger der Krieg dauerte, desto mehr – deutlich, wie obsolet und anachronistisch die militärischen Taktiken waren, auf die sich beide Kriegsparteien stützten. Entgegen den Erfahrungen des Krimkriegs und obwohl man erkennen mußte, über welche Vorteile die militärische Defensive dank Schützengräben, Minié-Geschossen und
Gatling Gun
inzwischen verfügte, marschierten immer noch, wie zu Zeiten Friedrichs II. von Preußen oder Napoleons I., geschlossene Infanterieformationen mit gefälltem Bajonett über ein zuvor von der Artillerie vorbereitetes Schlachtfeld. Entsprechend hoch wurden im Verlauf des Bürgerkriegs die Verlustzahlen bei den zum Teil mehrtägigen Schlachten. Besonders dramatisch war der Bedeutungsverlust der Kavallerie, auf die insbesondere der Süden seine Hoffnungen gesetzt hatte. Unter den Bedingungen moderner industrieller Kriegführung war sie dazu verdammt, inirregulären Partisaneneinsätzen oder zur Aufklärung eingesetzt zu werden. Schlachtentscheidend war sie nicht mehr.
Fast alle Soldaten, die sich bei Manasses gegenüberstanden, waren Freiwillige, die sich nach den Aufrufen Lincolns und Davis’ zu den Fahnen gemeldet hatten, im
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