Der amerikanische Buergerkrieg
vergleichsweise großzügig, zumindest wenn keine Feigheit in der Schlacht erkennbar war und es sich um die erste Abwesenheit von der Truppe handelte. Obendrein verstand es Präsident Lincoln, seinen Mythos als Vater der Armee zu festigen, indem er medienwirksam vereinzelte Delinquenten begnadigte.
Desertion war freilich nicht gleich Desertion. Mindestens so häufig wie das Verlassen des Regiments war die zeitweilige unerlaubte Abwesenheit, die dann ganz andere Ursachen hatte. Soldaten machten sich auf, die nächste Stadt zu besuchen, um sich zu betrinken, Prostituierte aufzusuchen oder anderen Formen des Vergnügens zu frönen. Diese Eskapaden wurden, wenn sie nicht von gewaltsamen Übergriffen auf Zivilisten oder gar Vergewaltigung und Mord begleitet waren, eher milde bestraft, wenn überhaupt. Sie verwiesen indes auf ein weiteres in den Bürgerkriegsarmeen jenseits der Schlachtfelder weitverbreitetes Phänomen, die alles überwältigende Langeweile des Militärdienstes. Mochten Schlachten für einen Adrenalinschub sorgen, der Dienst zwischen den Schlachten und Scharmützeln konnte sich in wochenlangen Märschen und endlosem Nichtstun und Drill im befestigten Lager erschöpfen. In ihren Briefen an Verwandte und Freunde klagten die Soldaten daher über die Eintönigkeit ihres Lebens, das schlechte Essen, Regen, Blasen an den Füßen, Erkältungen und Halsschmerzen. Meist reinigte man die Waffen oder flickte die Kleidung. Die süße Ehre, für das Vaterland zu sterben,trat jenseits des Schlachtfeldes erkennbar zurück. Aus diesem Grund fungierten republikanisch kontrollierte Organisationen wie die
United States Sanitary Commission
oder die evangelikale
United States Christian Commission
bis hin zu den
Union Leagues
, in katholischen Regimentern auch die Militärseelsorger, überwiegend als Truppenunterhalter. Aufgrund ihres bürgerlichen Hintergrunds und ihrer viktorianischen Moralvorstellungen waren sie jedoch denkbar ungeeignet, die Interessen der Soldaten wirklich zu befriedigen, da sie meist mit sozialdisziplinierendem und volkspädagogischem Anspruch auftraten. Vereinzelt waren katholische Militärkapläne immerhin bereit, dem Druck der Mannschaften nachzugeben und etwa aus Anlaß des St. Patrick-Festes Pferderennen zu organisieren. Kartenspielen und Trinkgelage waren hingegen nicht allein bei ihnen verpönt. Aber auf eines konnten sich die bürgerlichen Reformer und die Soldaten stets schnell einigen. Man spielte Baseball, und zwar auf beiden Seiten der Front. Das Spiel wurde als ideales Instrument angesehen, um unter- und außerbürgerliche Schichten zu zivilisieren. Ja, es galt als Symbol des geregelten Kapitalismus, da es die Stärken des Individuums im Kampf Mann gegen Mann in ein Mannschaftssystem und ein ausgefeiltes Regelwerk einbettete. Außerdem konnte man es überall problemlos spielen. Auf diese Weise trug der Bürgerkrieg maßgeblich dazu bei, Baseball zu verbreiten und bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert zur Lieblingssportart der Amerikaner zu machen.
An den Abenden versammelten sich die Regimentsangehörigen dann gerne um das Lagerfeuer. Ganz im Stile sowohl der bürgerlichen Familie wie ländlicher Traditionen wurde gemeinsam gesungen. Uns ist eine Vielzahl von Soldatenliedern aus dem Bürgerkrieg überliefert, die ganz unterschiedlichen Charakter haben. Manche sind eher militant, andere romantisch oder sehnsüchtig. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich im Norden der
Yankee Doodle
und bei den Konföderierten
Look away, Dixieland
. Diese Lieder schufen ein Gefühl der Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit. Ausgesprochen problematisch war das bis heute viel gesungene
Glory, Glory Hallelujah
, das, wie am Text deutlich erkennbar, aus der evangelikalenErweckungsbewegung stammte und von Abolitionisten vorgetragen wurde. Daher weigerten sich Katholiken häufig, dieses Lied anzustimmen. Selbstverständlich fand sich eine Reihe vaterländischer Lieder, die oft aus früheren Kriegen stammten, wobei festgehalten werden muß, daß beide Seiten noch keine Nationalhymne hatten. Die USA erhielten bekanntlich erst in den 1930er Jahren ihre heutige Hymne, die ein Kriegslied aus dem Jahr 1814 ist. Zu den Liedern wurde viel geraucht und noch mehr getrunken, schon um den notorisch schlechten Geschmack der Lagermahlzeiten zu überdecken. Dazu mochte dann im Gespräch der eine oder andere Soldat Kostproben eines derben, bärbeißigen Humors abgeben, der in den Autobiographien und Briefen der Männer gerne
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