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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Peter Bremer
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sich tatkräftig in jeder Situation zurechtfand. Ein Schurke hätte doch schon längst zum Stift gegriffen und die Frage, ob er lieber in karierte oder in linierte Notizbücher schrieb, hätte einen Schurken niemals über Wochen lahmlegen können.
    Er schüttelte den Kopf. Nicht einmal der müde Abglanz eines Schurken war er. Alle Entscheidungen gerieten zu einer einzigen Qual. Keine Empfindung seit Wochen, die ihn auch nur für eine Sekunde aufgeheitert hätte, und die Tage begannen, ohne jede Schurkerei, so verloren wie sie endeten. Keine Frische, keine Frechheit, immer nur dieses dumpfe Vor-sich-hin-Starren und diese nagende Angst. Der Magen ein Stein. Die Brust zu eng und immer voller Schmerz. Arme und Beine weich und schwach, nah der Befehlsverweigerung. Der Kopf eine stetig herabsinkende Freudlosigkeit. Warum half ihm bloß niemand? Er trug doch seinen Zustand offen wie ein Abbild vor sich her. Zum Beispiel könnte doch seine Frau, bevor sie zur Arbeit ging, täglich eine Liste anfertigen mit den Dingen, die für ihn im Haushalt zu tun waren. Es war doch alles besser, als sich hier im Arbeitszimmer zu zermürben. Heute, mein Mann, die Böden wischen und die Ränder mit der Zunge nachlecken, danach den Hund bürsten und die fehlenden Haare zählen, später die Henkel der Tassen geschickt abbrechen, vertauschen und neu ankleben und natürlich noch eine Flasche Wein für den Abend öffnen.
    Er sah auf seine Hände. Warum nur stritten sie sich in der letzten Zeit immer so heftig? Es gab doch gar kein Problem zwischen ihnen und die Kinder wären in ein paar Jahren schon so groß, dass sie argwöhnisch auf sie hinabschauen würden. Das einzige Problem, das zwischen ihnen bestand, war doch, dass seine Frau ihre Tage erfüllt verbrachte, seine Tage hingegen unerfüllt dahingingen. Wenn er aber zukünftig und vielleicht auch dank ihrer Liste seine Tage ebenfalls wieder erfüllt verbringen würde, mit welchem Reichtum würden sie einander begegnen. Wie verwandelt würde er abends, wenn seine Frau von der Arbeit heimkäme, zu ihr aufblicken. Was duftet denn hier so gut, mein lieber Mann? Das wird doch nicht etwa eine Kartoffelcremesuppe sein? Oh du Schatz! Und hier im Flur ist alles gefegt, gewischt und geputzt. So viel Mühe. Dann geht’s jetzt aber auch marsch ins Bett, mein kleiner Mann, oder willst du noch ein bisschen an deinem Brief arbeiten?
    Er sah zu seinem Schreibtisch und stöhnte auf. Was sollte er dem amerikanischen Investor bloß schreiben? Interessierte es den amerikanischen Investor denn überhaupt, dass er sich wegen des Wohnungsproblems mit seiner Frau stritt, und was ging es den amerikanischen Investor schon an, dass er sich derzeit nicht so auf die Welt seiner Kinder einlassen konnte, wie er es normalerweise von sich verlangte? Wahrscheinlich war es in den Häusern des amerikanischen Investors sogar an der Tagesordnung, dass die Bewohner Mordphantasien gegen ihre Nachbarn hegten. Vielleicht wetzte im Nachbarhaus die fast hundert Jahre alte Frau seit Wochen ein Schlachtermesser, um ihm und seiner Familie einen Besuch abzustatten, und natürlich waren die freundlichen Reden der Nachbarn im Treppenhaus nichts als Heuchelei. Ihre Kinder werden ja auch immer größer und was Ihre Frau in der letzten Zeit für eine hübsche Frisur trägt. Wie aufgeblüht sieht sie aus und wie geht es eigentlich mit Ihrer Wohnung voran? Hat sich denn da etwas Neues getan und woran arbeiten Sie übrigens gerade? Sitzen Sie an einem Buch? Kennen Sie die Lebenserinnerungen von Helmut Schmidt? Das ist ein Buch, das sowohl meinen Mann wie auch mich sehr angeregt hat. Wissen Sie, wir sprechen oft über Sie und Ihre Familie. Es wäre wirklich zu schade, wenn Sie ausziehen müssten. Wozu hat man sich denn die ganzen letzten Jahre aneinander gewöhnt?
    Er ballte die Hände zu Fäusten. Was hatte den amerikanischen Investor nur veranlasst, sich derart in ihr Leben hineinzuzwängen? Besaß er denn selbst keine Freunde? Und welcher Eindruck ergab sich wohl von der Welt, wenn man immer nur vom Flugzeug auf sie hinabschaute? Was war es denn, das dem amerikanischen Investor hier unten so sehr missfiel, dass er sich dort oben wie in einer Festung verbarrikadierte? War es die Furcht, die alle, denen er sich auf Erden näherte, sogleich vor ihm erstarren ließ, oder war es die Unterwürfigkeit, die ihn derart anödete, dass er die Einsamkeit seines Flugzeuges bevorzugte? Ich hoffe, unsere hiesige Schokolade genügt Ihren Ansprüchen, Mr

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