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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Peter Bremer
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seinetwegen ihre vertraute Route ändern? Das wäre seine einzige Bedingung. Dauernd würde er sonst irgendwelche Eltern der Schulfreunde seiner Kinder treffen und alle zwei Stunden käme er wieder an seinem Haus vorbei. Alle zwei Stunden würde er zu seinem Fenster hinaufsehen. Was macht denn euer Vater dort unten? Spielt er denn überhaupt ein Instrument? Vielleicht könnte er der Kapelle eine andere Route vorschlagen. Aber wo gab es schon so viele Cafés wie in seinem und dem benachbarten Block, und würde sich der Herr am Schifferklavier überhaupt noch auf eine neue Route einstellen können? Manchmal war er schon am frühen Nachmittag nicht mehr zugegen oder schwankte nur noch mühsam hinterher. Eigentlich fehlte dieser Kapelle jemand, der diesen Herrn stützte, ihn an eine Wand lehnte oder vorsichtig auf einem Pömpel absetzte. Das wäre doch eine Aufgabe, die er übernehmen könnte. Abends am Lagerfeuer würden sie zu den Sternen hinaufblicken und das kleine Geld in den Händen halten. Warum nur hatte er den Musikern bisher noch nie etwas Geld zugesteckt? Sie zogen jetzt doch schon den dritten Sommer um seinen und den benachbarten Block. Ihre Gesichter waren ihm fast so vertraut wie das Gesicht seiner Frau. Fünf oder zehn Euro, dass hätten sie sich doch längst verdient. Wenn er sie das nächste Mal vernahm, würde er gleich die Treppen hinuntersteigen. Er könnte auch sofort hinuntereilen. Wo war eigentlich sein Portemonnaie? Aber wäre das eine schöne Geste, wenn er ihnen jetzt noch gehetzt zehn Euro in den Geigenkasten werfen würde? Stattdessen wäre es doch viel eher angebracht, sie das nächste Mal auf der Straße abzufangen und sie zu sich hinaufzubitten. Zwanzig Euro würde er ihnen für ein kurzes Ständchen geben und ihnen einen heißen Tee anbieten. Was gab es denn Vollkommeneres, als jemandem seine Gastfreundschaft zuteilwerden zu lassen. Auch ihn selbst würde diese Großzügigkeit sogleich verwandeln und wie bitter erst hatten diese Musiker sie nötig. Dankbar würden ihre vergoldeten Zähne ihm entgegenglänzen. Ihr habt doch bestimmt auch Hunger, Freunde. Selbstverständlich dürft ihr meinen Kühlschrank plündern. Ich bitte sogar darum.
    Er kniff die Augen zu. Nicht nur unerhört, auch glorreich war es, mit welchem Gleichmut und natürlichem Stolz diese Menschen täglich der Herablassung begegneten, der sie vor jedem Café ausgesetzt waren. Kaum ein Gast, der, wenn er sie nahen sah, nicht an seine schmutzigen Schuhe, die zermatschten Insekten auf seiner Windschutzscheibe dachte. Kaum ein Gast, der sich nicht missmutig abwandte, wenn sie ihre Instrumente ansetzten. Kaum ein Gast, der auch nur ahnte, was es bedeutete, einer verbeulten Trompete und einer zersplitterten Geige einen betörenden Klang zu entlocken. Kaum ein Gast, der nicht einen abschätzigen Blick auf ihre zusammengewürfelte und zerschlissene Kleidung warf. Kaum ein Gast, der es wagte, einen Blick in ihre sonnengegerbten, ledernen Gesichter zu werfen. Kaum ein Gast, der dem prallen Leben, das aus diesen Gesichtern sprach, auch nur im Entferntesten standhalten konnte. Kaum ein Gast, dem von seinen Handys und seinen Computern, der Zeitung in seiner Hand, nicht schon jedes Mark aus den Knochen gesaugt war. Kaum ein Gast, der, wenn mit triumphalem Trotz die Musik einsetzte, sich nicht erschrocken und fahl in sich zurückzog. Was musste es für ein erhebendes Gefühl für jeden Einzelnen aus der Kapelle sein, zu wissen, die Familie kann daheim ein schlichtes, aber beschwingtes Leben führen, weil er dort spielt, vor einem Publikum, das ihn nicht mehr als einen Putzlappen achtet, das seine Kunst verschmäht und ihm sogar die Würde absprechen will, weil es nicht versteht, dass nur die Würde selbst es ist, die es diesen Musikern erlaubt, das schale Geld, das ihnen so widerwillig und lieblos zugeschmissen wird, mit dieser Anmut aufzufangen. Ihm aber wäre es nicht nur eine Freude, ihm würde es eine Ehre sein, die Musiker zu bewirten. Bei ihm sollten sie sich wohlfühlen, mit dämmrigem Blick aufs Sofa gefläzt, die müden Glieder ausgestreckt. Hier, in dieser Wohnung, würde die Musiker bereits in zwei Stunden eine Oase erwarten, ein Ort, an dem sie sich gehen lassen konnten, ein Ort, an dem sie nicht pflichtschuldig in den Tag hineinzulachen hatten, und obendrein würde er ihnen dafür noch Geld geben. So viel Geld würde er ihnen geben, dass sie für einen oder zwei Tage, vielleicht sogar für eine Woche pausieren konnten, und

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