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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Peter Bremer
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vorherigen Hausmeister war er sich hinsichtlich seiner Orientierung alles andere als sicher. Are you maybe homosexual, Mr Investor, and you don’t know it by now? Vielleicht würden sich ja der amerikanische Investor und der vorherige Hausmeister viel besser verstehen, als er es jemals hätte voraussehen können, und welches andere Ziel sollte er denn verfolgen, als dass der amerikanische Investor einen rasanten und ungewöhnlichen Tag mit ihnen verbrachte, einen unvergesslichen Besuch erlebte? Für alle Zeiten würde der amerikanische Investor den Bezirk und das Haus, eventuell auch den vorherigen Hausmeister, auf jeden Fall aber ihn und seine Familie in freundschaftlicher Erinnerung halten.
    Noch fester ballte er die Fäuste zusammen. Wenn es ihm tatsächlich gelänge, den amerikanischen Investor zu diesem Besuch zu bewegen, dann wäre schon alles gewonnen. Zwar hatten sie in der letzten Zeit nicht gerade häufig Gäste gehabt, doch war die Rolle des Gastgebers keine Rolle, die man verlernen konnte, und als Gastgeber hatte er noch nie enttäuscht. Nie war es vorgekommen, dass ein Gast ihre Wohnung fluchtartig oder auch nur voreilig verlassen hatte. Oft fragte er sich sogar, wenn er sich einem Gast gegenübersah, warum es ihm nicht gelang, zu sich selbst so gut und großherzig zu sein wie zu dem Menschen, den er dort gerade, während er ihn mit einer anspruchsvollen Rede unterhielt, fürstlich bewirtete. Dabei lag wahrscheinlich darin das Geheimnis, weshalb er so ein guter Gastgeber war. Kaum in den Flur getreten, half er den Gästen bereits aus ihren Sorgen und Ängsten wie aus einem Mantel heraus, einem Mantel, den sie später, beim fröhlichen Abschied, nur zu gern vergaßen, weil sie ihn bei ihm in besten Händen wussten. Kein Wunder, dass bisher noch kein Gast, der einmal tief in seinem Sofa versunken war, sich freiwillig wieder erheben wollte, und warum sollte es dem amerikanischen Investor anders ergehen? Warum sollte der amerikanische Investor einen Besuch bei ihm weniger genießen als irgendjemand sonst? Wer konnte den amerikanischen Investor besser von seinen Sünden lossprechen als er? Gerade deshalb war er doch ein so guter Gastgeber, weil tief in seinem Wesen verankert etwas Selbstloses und Dienendes waltete, ganz so, als ob er das Glück lieber anderen überließe, als ob es ihm genügte, sich daran zu erfreuen, wie andere dieses Glück vor seinen Augen pflückten, während sein Blick bereits wieder auf die Not fiel, die am gleichen Ast faulig moderte und die ebenfalls gepflückt werden musste, bevor sie jemandem unerwartet auf den Kopf fiel. Wie erlöst würde der amerikanische Investor nach einem Besuch bei ihm in sein Flugzeug steigen, während er, wiederum betrübt, am Boden seines Arbeitszimmers sitzen würde. Schon jetzt litt er doch bereits für seine Frau und seine Kinder mit. Nur deshalb glitten sie alle drei noch so unbeschwert durch die Tage, blickten am Abend arglos zu ihm hinauf oder hatten noch die Kraft, auf ein Schwätzchen die Freundin zu empfangen. Vielleicht war es diese Selbstlosigkeit, von der er den amerikanischen Investor in dem Brief überzeugen musste. Dabei müsste der Brief dennoch ganz leicht daherkommen. Zum Beispiel könnte er damit beginnen, dass an einem herrlichen, wolkenlosen Tag plötzlich Musik in seinem Zimmer erklungen sei. Von der anhaltenden Hitze und den schweren Instrumenten könnte er schreiben. Von Kindern, die mit staunenden Augen zum Himmel hinaufsehen.
    Er sah zu seinem Schreibtisch hin. Hatte er nicht kürzlich erst einen Artikel über die in Berlin musizierenden Roma und Sinti gelesen? Er hatte ihn sich doch sogar ausgeschnitten. Nur, wo hatte er den Artikel abgelegt und was hatte in dem Artikel gestanden?
    Er ließ den Kopf in die offenen Hände sinken. Sehr berührt hatte ihn der Artikel. Einen tiefen Eindruck hatte der Artikel in ihm hinterlassen und an manchen Tagen hatte er ihn immer wieder, sobald die Musik von der Straße her in sein Zimmer geweht war, in sich aufgerufen. In dem Artikel hatte er gelesen, dass fast alle Roma und Sinti, die in Berlin bettelten oder wie die Kapelle auf der Straße musizierten, aus einem völlig verdreckten und verwahrlosten Vorort einer slowakischen Stadt kamen, die, wie er sich jetzt erinnerte, mit P begann. Nicht nur, was er aus dem Artikel über die katastrophalen Lebensbedingungen in diesem Ghetto erfahren hatte, hatte ihn empört, sondern mindestens ebenso, dass die Menschen, die täglich etwa sieben Mal vor

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