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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Peter Bremer
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seinem Fenster aufspielten, diese Reise keineswegs freiwillig angetreten hatten. Sie alle waren, so hieß es in dem Artikel, durch Schulden, die sie bei den wenigen Wohlhabenden ihresgleichen aufnehmen mussten, um in diesem Vorort, in dem es weder Arbeit noch Perspektive gab, überleben zu können, in eine Art Leibeigenschaft geraten, und als Leibeigene musizierten sie jetzt vor den Cafés in seinem und dem benachbarten Block, während ihre Gläubiger, inmitten des Elends jenes Vorortes, einem feisten Luxus frönten.
    Er hob den Kopf und blickte wieder zum Himmel hinauf. Warum schickte er dem amerikanischen Investor nicht einfach diesen Artikel? Für den amerikanischen Investor wäre es doch ein Leichtes, die Musiker und ihre Familien auszulösen. Natürlich würde er dem Artikel ein paar begleitende Zeilen hinzufügen. Allerdings war der Artikel, wenn er sich richtig erinnerte, ziemlich lang gewesen und ohne jegliche Eleganz verfasst. Aber wozu sonst besaß er dieses Arbeitszimmer? Für ihn bedeutete es doch nicht mehr als eine Fingerübung, den Artikel in eigenen Worten handschriftlich zusammenzufassen. Als ein wahres Kleinod würde er ihn dann in den Brief einbauen. Nicht nur auf die armen Musiker vor seinem Haus, sondern auf diesen ganzen menschenunwürdigen Vorort würde er den amerikanischen Investor aufmerksam machen. In freundlichen, aber entschiedenen Worten würde er den amerikanischen Investor darauf hinweisen, dass er sich dieses Vorortes anzunehmen habe.
    Wieder richtete er seinen Blick zum Schreibtisch. An finanziellen Mitteln konnte es dem amerikanischen Investor nicht fehlen. Im Internet hatte er in einem Interview mit dem amerikanischen Investor gelesen, dass unter seiner Regie in den verschiedensten asiatischen Ländern gerade von den hochkarätigsten Architekten entworfene, bereits vor ihrer Fertigstellung sagenumwobene Wolkenkratzer entstünden. Das, was von einem bleibt, hatte der amerikanische Investor in dem gleichen Interview gesagt, ist nicht das, was man erwirbt, sondern das, was man erschafft. Sein immenses Vermögen, durch Finanzspekulationen aufgebaut, wie der amerikanische Investor in diesem Interview freimütig bekannte, verdanke er einem fast herkömmlichen Stuhl, einem Erbstück, das er sogleich verkauft habe. Der Erlös aus diesem Verkauf, den er sofort wieder investiert habe, sei der Grundstock seines Reichtums. Das Geheimnis seines Erfolges, hatte er in dem Interview des amerikanischen Investors weiter gelesen, sei, dass ihn Eigentum gar nicht interessiere. Er fühle sich sowieso nur in seinem Flugzeug wohl. Allein die Vorstellung eines festen Wohnsitzes, des immer gleichen Schlafzimmers, der Haustür, durch die man jeden Morgen durch den Garten auf die Straße tritt, löse in ihm ein lähmendes Gefühl aus.
    Er wandte seinen Kopf zum schlafenden Hund um, zum Bett, zum Schrank, der ein wenig offen stand. Dann schaute er wieder zum Himmel hinauf. Seine gewaltigen Vorhaben waren es, die dem amerikanischen Investor seine Kraft verliehen. Nicht dankbar wollte er betrachtet werden, sondern ehrfurchtsvoll und staunend. Was er verlangte, war Begeisterung. Die Begeisterung für seine gewaltigen Vorhaben war das Einzige, das er zu teilen bereit war. Nur wenn er den amerikanischen Investor gleichsam für ein neues Vorhaben begeisterte, konnte er sich an ihn wenden.
    Er sah auf seine Hände hinab, die schlapp am Boden auflagen. Welches begeisterungswürdige und herausfordernde Vorhaben konnte er dem amerikanischen Investor schon unterbreiten? Mehrere Monate oder Jahre einsam auf einem Berg brauchte er in seinem jetzigen Zustand, bis ihm ein Vorhaben in den Sinn käme, an dem sich der amerikanische Investor messen lassen wollte. Warum fragte er den amerikanischen Investor nicht, ob er ihn auf diesen Berg begleiten wolle? Vielleicht würden sie, nach einer beschwerlichen Besteigung, so lange auf einem stillen Plateau in sich versinken, bis sie einander nahegekommen waren.
    Er schloss die Augen. Der amerikanische Investor war kein Träumer. Der amerikanische Investor hatte sich nicht umsonst in die Luft erhoben. Nur von dort oben sah er die Welt, wie er sie sehen wollte. Kein Elend, das sich an ihn herandrängte, kein Kind, das etwas forderte, kein Hundehaufen, in den sein Fuß geraten konnte, keine Musik, die er nicht zu hören bereit war. Stattdessen gleichmäßig das Motorengeräusch und hin und wieder ein Blick zu seinem Diener, um ihn heranzuwinken. Siehst du das Licht dort unten, my

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