Der amerikanische Investor (German Edition)
Investor. Darf ich Ihnen die Tasche abnehmen, Mr Investor? Meine Frau hat Ihnen ein paar Handschuhe gehäkelt, Mr Investor, aber da ich jetzt Ihre grazilen Finger sehe, scheinen es mir doch recht plumpe Dinger zu sein. Oder waren es die vielen Klagen, die ihm, sobald er irgendwo landete, entgegenschollen? Waren es die Scharen entmieteter Menschen, die, einer wilden, verkommenen Horde gleich, mit Forken und Eisenstangen bewaffnet, auf ihn zustürmten, sobald er nur irgendwo seinen Fuß aus dem Flugzeug setzte? Oder war es allein die Angst vor dem einen wie vor dem anderen, die den amerikanischen Investor bewog, dort oben am Himmel zu verharren? War es vielleicht sogar ein schlechtes Gewissen? Welche Signale empfing der amerikanische Investor in seinem Flugzeug von der Erde und war es nicht sogar möglich, dass ihn dort oben bereits mehrmals der Wunsch ergriffen hatte, von einem freundlichen Menschen auf die Erde hinuntergebeten zu werden, um einen entspannten, fast gewöhnlichen Tag zu verleben? Vielleicht war dieser Brief gar kein allzu großes Unterfangen. Vielleicht waren es nur ein paar ungezwungene Worte, mit denen er, fast flanierend, auf den amerikanischen Investor zuzugehen hatte. Vielleicht genügte es, eine schlichte Einladung auszusprechen, zu einem Spaziergang beispielsweise. Vielleicht war so ein Spaziergang genau das, wonach sich der amerikanische Investor dort oben in seinem Flugzeug schon seit langem sehnte. Durch die Stadt könnte er ihn führen oder besser noch durch seinen Bezirk. Die Schule der Kinder könnte er ihm zeigen, den Park oder auch die Geschäfte, in denen er täglich einkaufte. Vielleicht hätte sogar der vorherige Hausmeister Lust, sich ihnen anzuschließen. Zu dritt könnten sie einen ganzen Tag lang der Kapelle folgen. Vielleicht war es ein solcher Tag, mit zwei ihm zugewandten Menschen, von dem der amerikanische Investor dort oben in seinem Flugzeug träumte.
Mit der Hand fuhr er sich über die Stirn. Allerdings müsste er an diesem Tag, allein der Geselligkeit wegen, wieder etwas trinken. Zumindest durfte er nicht riskieren, ausgerechnet an diesem Tag spröde und verstockt zu wirken. Wahrscheinlich war es sogar äußerst sinnvoll, wenn er bereits am Abend davor eine Kleinigkeit trank, damit ihn nicht gleich der erste Whisky umwarf, den der amerikanische Investor in einer dieser schicken, neuen Bars, die er noch nie betreten hatte, die aber in seinem Block derzeit wie Pilze aus dem Boden schossen, spendierte. Ganz gelöst würden sie miteinander umgehen, sich vielleicht sogar auf den letzten Metern unterhaken und das Wohnungsproblem würde er, wenn überhaupt nur nebenbei und mit Humor, wie unter Freunden ansprechen. Auf keinen Fall durfte er in sich gekauert und unlustig vor sich hin drucksend nur auf den Moment warten, dieses Problem endlich vortragen zu können. Freunde mit solch kümmerlicher Absicht waren dem amerikanischen Investor vermutlich nur zu gut bekannt. Es war ja ohnehin davon auszugehen, dass der amerikanische Investor, allein um sich selbst vor einer Enttäuschung zu schützen, mit einem gewissen Misstrauen in den Tag hineingehen würde. Noch beim ersten Whisky würde der amerikanische Investor ihn von der Seite her scharf beäugen. Deswegen galt es, schnell einen zweiten Whisky zu bestellen. Wie es sich in einem Flugzeug lebte, würde er ihn fragen, ob er gerade unter einem Jetlag leide und ob es wirklich von überall aus möglich sei, mit zu Hause zu telefonieren. Je privater das Gespräch sich gestaltete, desto schneller würde der amerikanische Investor auch sein Misstrauen ablegen. Am Anfang, da durfte er sich auch jetzt nichts vormachen, war es natürlich geraten, vorsichtig zu sein und den scharfen Blick des amerikanischen Investors geduldig zu ertragen. Spätestens aber, wenn der amerikanische Investor entspannt die Jacke abgelegt und auch die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt hätte, würde sich dieses Verhältnis drehen. Dann würde er dem amerikanischen Investor fest in die Augen sehen, jedoch nicht, um jetzt etwa das Problem vorzubringen, sondern nur um die aufgekommene Vertrautheit noch zu steigern, eine Vertrautheit von so herzlicher und uneingeschränkter Offenheit, wie nur Seelenverwandte oder sehr alte Freundschaften sie in unsterblichen Augenblicken einander entgegenbringen. Are you maybe homosexual, Mr Investor? Da hätte er jetzt allerdings einen Punkt berührt, der auch den vorherigen Hausmeister gebannt auflauschen lassen würde. Auch beim
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