Der amerikanische Investor (German Edition)
Tages von der Schule abholen? Waren das nicht die letzten Sätze gewesen, die sie ihm, aus ihrem Zimmer, bereits wieder versöhnlich, hinterhergerufen hatte und die er nur deshalb so undeutlich in Erinnerung hatte, weil er sie, schon wieder ins Wohnzimmer zurückgestiefelt, wenn überhaupt, dort nur sehr schwach, wie einen sanften Wind vernommen hatte? Oder war seine Frau heute gar nicht bei der Arbeit gewesen? Hatte sie sein gestriges Verhalten als so unzumutbar empfunden, lächerlich und grausam zugleich, dass sie heute, gleich am Morgen, an jeder Hand ein Kind und den Schlussstrich endgültig im Kopf, aus der Wohnung entwichen war? Aber wo sollte sie hin? Zu ihren Eltern? Ausgeschlossen! Außerdem müssten die Kinder weiter zur Schule gehen. Sah sie sich bereits nach einer neuen Wohnung um, einer Wohnung, in der es weder für ihn noch für den Hund Platz gab? Aber wer würde sich dann am Nachmittag um die Kinder kümmern? Das war doch alles gar nicht auf die Schnelle zu organisieren. Seine Frau war doch eine Realistin. Etwas derart Unüberlegtes käme niemals auch nur an den Rand ihres Sinnes heran. Wahrscheinlich war sie einfach mit den Kindern aus der Stadt hinausgefahren und blickte jetzt, seit Stunden schon, mit ernster Miene nachdenklich auf einen See. Bestimmt würde gleich das Telefon klingeln und dann würde sie ihn fragen, ob er nicht doch Lust hätte nachzukommen. Dann durfte er auf keinen Fall seine Badehose vergessen. Auch das Notizbuch würde er einstecken, und, den Hund an der Leine, würde er sich schweigend neben seine Frau setzen und fast scheu den Kindern zuwinken, die sich von den überstehenden Ästen ins Wasser schwangen. Abends würden sie sich beide eine Decke über die Schulter legen und auch nachts würden sie noch dasitzen, dann aber aneinandergelehnt und jeder ein schlafendes Kind im Schoß, und so würden sie zu den Sternen hinaufblicken und das Erste, was er sagen würde, wäre, dass er sich noch immer nicht vorstellen könne, dass dort oben bereits Menschen gewesen seien, dass er ihr aber natürlich auch dorthin folgen würde, wenn sie es nur wolle.
Er sah zur Decke hinauf. Was hielt seine Frau nur hier? Nicht nur dank ihrer Ausbildung, sondern vor allem wegen ihrer Fähigkeiten hätte sie doch die Möglichkeit, sich überall auf der Welt zu bewähren. Was war es, was sie sich hier noch erhoffte? Bestimmt nicht, täglich noch später von der Arbeit zu kommen. Aber warum verharrte sie hier dann noch in trotziger, fast lebloser Sturheit und kam nicht einmal auf die Idee, sich zum Beispiel in Afrika als Entwicklungshelferin zu bewerben? Noch am gleichen Tag, am gleichen Abend, noch in der Stunde dieser Verkündigung hätte er bereits seine Sachen zusammengepackt. Vom frühen Morgen an würde er mit den Kindern des Dorfes und den eigenen Fußball spielen und abends, während sie alle zusammen den Reis mit den Händen aus einer Schale äßen, würde er Geschichten erfinden und die Kinder des Dorfes würden sich in Scharen um ihn herumdrängen und staunend an seinen Lippen hängen. Von Städten und Häusern in Europa würde er berichten, von alten Frauen, die mit aufgeklappten Regenschirmen an Bushaltestellen warteten, von Hunden, die in künstlichen Gewässern badeten, und Flugzeugen, in denen einzelne Menschen die Welt erkundeten. Nachts würde seine Frau, noch warm von der Sonne wie er selbst, ihn in den Arm nehmen und gemeinsam würden sie, bei einem Glas Wein, aus ihrer Lehmhütte in das friedliche, dunkle Dorf hinausblicken, und bevor sie dann auf ihr Lager kröchen, würde er sich noch einmal entschuldigen, denn er musste noch mal nach dem schmalen, fiebrigen Jungen in der Hütte nebenan sehen, ihm die Wadenwickel wechseln und ihm die Hand auf die Stirn legen, weil nur so der Atem des Kindes sich langsam beruhigte.
Er hob den Kopf, sah zur Tür und ließ ihn wieder sinken. Hatte seine Frau jede Abenteuerlust verloren? Wo war ihre Forschheit hin? Für diese Forschheit hatte er sie doch immer geliebt. Warum hatte er ihr noch nicht das Buch über Strickmuster entrissen, in dem sie neuerdings, immer wenn die Kinder im Bett waren, auf dem Sofa blätterte, anstatt sich mit ihm zu unterhalten oder wenigstens, gemeinsam mit ihm, dem Radio zu lauschen? Was würde wohl geschehen, wenn er dieses Buch vor ihren Augen aus dem Fenster würfe? Würde sie ihn womöglich, nach kurzem Schreck, mit einem dankbaren Blick betrachten, einem Blick, der sich gleichsam über sich selbst wunderte? Oder
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