Der amerikanische Investor (German Edition)
dauert nicht drei, sondern sechs Monate, manchmal sieben. Hier sieht es ja aus wie nach dem Krieg. Solche Reden prasselten damals von den ersten Besuchern auf sie ein, und während er sich vor diesen Reden am liebsten hinter einen der vielen Öfen verkrochen hätte, durchschritt seine Frau stolz, dem mäkelnden Besuch voran, die großzügigen Räume.
Er öffnete die Augen. War der damalige Entschluss, diese Wohnung zu mieten, nicht auch ein Trotzen gegen eine Bürgerlichkeit, die ihnen von außen, sowohl von Verwandten wie auch von Freunden, massiv angetragen wurde? War das Mieten dieser Wohnung nicht sogar der bisherige Gipfel eines gemeinsamen Projektes, das dem schnöden, bürgerlichen Vor-sich-hin-Altern mit erhobener Faust den Kampf angesagt hatte? Nie würde er den Abend vergessen, an dem er, vor nun fast fünf Jahren, zum ersten Mal den Ofen im Wohnzimmer anfeuerte. Wie gebannt lauschten sie alle vier dem Knistern im Inneren des Ofens nach, und als dann die Ofenwand die erste Wärme abwarf, da erkannte er in dem Gesicht seiner Frau den gleichen Jubel, den auch er fühlte, und wie man eine ziehende Wolke betrachtet, so sah er sich in ein unendliches Glück hinausspazieren.
Er seufzte auf. Im ersten Winter war es ihm immerhin noch manchmal gelungen, sich an diesen Moment zu erinnern, aber schon der zweite Winter, vom dritten ganz zu schweigen, war furchtbar. Bereits im Juli, manchmal schon Mitte Juni, begann er still die kalten Monate abzuzählen. Oktober, November, Dezember, Januar, Februar, März. Sechs Monate, auf die er die restliche Zeit über wie das Kaninchen auf die Schlange starrte.
Er kniff die Augen zu. Tiefen Nadelstichen gleich oder als sei die Wohnung mit Reißzwecken ausgelegt, so würde er in den nächsten Tagen seine Frau bei jeder sich bietenden Gelegenheit an den Winter gemahnen. An die außen und innen vereisten Fenster würde er sie gemahnen, an den roten Staub, der Atmung und Hände sich so dumpf anfühlen ließ, wenn er bei der täglichen Reinigung den Öfen entstieg, an die Kälte und den Schmutz würde er seine Frau gemahnen, an die Kinder, die mit dreckigen Fingernägeln und mehreren Pullovern übereinander wie Michelinmännchen durch die Wohnung torkelten, an die Zahnbürste, die man sich am Morgen zuerst in den Mund stecken musste, um die Borsten vom Eis zu befreien, an die zahlreichen Verbrennungen würde er seine Frau gemahnen, die sie sich im Schlaf von den zu heißen Wärmflaschen zugefügt hatte, an das Erwachen und den Blick in den eigenen Atem, der sich über einem auftürmte. Hast du vielleicht schon eine Idee, Liebling, wo wir dieses Jahr den Weihnachtsbaum hinstellen wollen? Was guckst du mich denn so bleich an? Und wie wollen wir eigentlich dieses Jahr mit der Kohlepolitik verfahren? Soll das Heizen wieder meine Aufgabe sein? Dann darfst du mir aber nicht wieder so viel hineinreden.
Er öffnete die Augen, und indem er sie wieder schloss, sah er das düstere Gesicht seiner Frau vor sich, schaute in ihren zornigen Blick, den sie ihm immer zuwarf, wenn sie abends mit der Hand an der Ofenwand fühlte. Nie war es ihr warm genug. Nur, warum fiel die Aufgabe des Heizens dann jedes Jahr von neuem wieder auf ihn zurück? Warum erhob sich seine Frau im Winter nicht eine Stunde früher und füllte die Öfen, wie es ihr beliebte? Er war nun einmal ein sparsamer Mensch. Warum folgte seine Frau nicht seinem Beispiel? Wenn er merkte, dass die Kälte zu tief in ihn hineinkroch, erhob er sich und ging mit schnellen Schritten ein paarmal auf und ab. Das entspannte nicht nur die Gedanken und war gesund, sondern es war auch allemal besser, als immerzu vorwurfsvoll und schlecht gelaunt vor sich hin zu starren. Er heizte nun mal so, wie er heizte, und daran würde sich auch nichts mehr ändern. Das hatte weder mit Geiz zu tun noch mit der Genugtuung, die er tatsächlich empfand, wenn ein Kohlepäckchen über die gewöhnliche Zeit hinaus reichte.
Er öffnete die Augen und sah zur Decke hinauf. War die Angst vor Verschwendung in ihm so mächtig, weil die Zukunft ihm so leer erschien, und war die Art, wie er heizte, nicht deshalb sogar ein Abbild seiner selbst? Was genau hinderte ihn daran, ein paar Kohlen mehr in die Öfen zu legen. War es vielleicht das Bemühen, ein nicht gerade erfolgreiches Leben auf kleiner Flamme fortzusetzen, war es vielleicht schon ein Einigeln in ein Dasein, das keinen Luftsprung mehr voraussah, oder war es schlichtweg Rechthaberei, die ihn, wider besseres Wissen und
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