Der amerikanische Investor (German Edition)
beobachten, wie sie sich die zu großen Stücke gierig in den Mund stopften. Heute dürft ihr schmatzen, Kinder, würde er sagen und zu seiner Frau hin lächeln.
Er schloss die Augen. Es waren wirklich tolle Kinder, die sie da hatten. Warum hatte er eigentlich noch nie versucht, seine Kinder zu beschreiben? Es musste ja nicht gleich ein ganzes Buch daraus werden. Eine Studie würde vorerst genügen. Wo kam man sonst so dicht an Menschen heran wie in der eigenen Familie. Mit der Tochter würde er beginnen – oder doch mit dem Sohn.
Er legte sich die Hand auf die Stirn. Was fiel ihm zum Beispiel jetzt, in diesem Moment, spontan zu seinem Sohn ein? Zuerst natürlich, wie gewandt er sich auf der Straße und im Verkehr zurechtfand. Dann, dass er keine Verantwortung scheute. Für sein Alter bestimmte sein Sohn schon sehr vieles selbst. Zudem war er äußerst verlässlich, neugierig und freundlich und mit einem untrüglichen Gefühl für Stimmungen ausgestattet, einem Gefühl allerdings, das er auf kindliche Art doch sehr überzog. Wenn er mit müden und schlurfenden Schritten aus dem Arbeitszimmer herauskam, fragte sein Sohn ihn neuerdings immer, ob es ihm etwas besser gehe. Guck mal hinaus, Papa, heute ist wieder ein schöner Tag. Hast du denn etwas geschafft? Ich verstehe ja deine Bücher leider noch nicht, aber du bist bestimmt ein guter Schriftsteller. Wie hieß dein zweites Buch noch mal? Genau! Das war doch das, wo du nur zwei Monate für gebraucht hast.
Er öffnete die Augen und schloss sie wieder. Wie ein Versehrter wurde er von seinem Sohn betrachtet. Manchmal kam er gar nicht wieder aus seinem Arbeitszimmer heraus, um nicht eine dieser aufbauend gemeinten Reden seines Sohnes über sich ergehen lassen zu müssen, und meist im Ton zu scharf, wies er das Kissen zurück, das sein Sohn ihm, sobald er sich irgendwo hingesetzt hatte, hinter den Rücken stopfen wollte. All diese Demonstrationen von Einfühlsamkeit entflammten bei ihm eine innere Wut, die sich kaum bändigen ließ. Ans Schienbein würde er seinen Sohn das nächste Mal treten, wenn dieser ihn wieder mit seinem aufgesetzt besorgten Blick betrachtete, um sich anschließend wie gedämpft, in unsagbar kränkender Rücksichtnahme um ihn herum zu bewegen, ganz so, als handelte es sich bei ihm um einen zutiefst verletzten, früh vergreisten und erschütterten Menschen, den jeder Lärm und jede Aufregung, den jedes menschliche Ereignis im Kern tödlich bedrohe. Schlaf weiter, Papa und lass nicht alles an dich heran. Weißt du, wenn wir gewusst hätten, dass du dich im Bett erholst, hätten wir gar nicht gehofft, dass du uns von der Schule abholen würdest. Zwei Stunden haben wir gewartet und dann rannte meine Schwester nach dem Ball auf die … Sie war sofort … Der Fahrer hat uns dann freundlicherweise noch nach Hause gefahren und mir sogar geholfen, meine Schwester, unten im Hof, unter die Plane zu legen. Weißt du, da, wo seit Wochen die Bretter lagern. Danach bin ich schnell zum Beerdigungsinstitut hinaufgerannt. Der Verkäufer wollte mir zuerst so einen richtig fetten Eichensarg andrehen. Voll übertrieben! Ich habe mich dann natürlich für so einen kleinen, dünnwandigen und günstigen entschieden. Ich dachte, wir könnten ihn zusammen anmalen. Aber wenn dir das zu viel ist, kriege ich das auch allein hin. Du musst dich um nichts kümmern, Papa. Schlaf einfach noch ein bisschen weiter. Du brauchst deine Ruhe. Das sieht echt gemütlich aus, wie du da liegst, und mach dir wegen der Kosten keine Sorgen. Ich habe von meinem Taschengeld in den letzten Jahren ganz viel gespart. Auf diesen blöden Computer kann ich auch weiterhin verzichten. Und Mama, würde ich vorschlagen, sagen wir vorerst gar nichts. Sonst wird sie wieder sauer auf dich. Sie hat ja so viel zu tun, da fällt es ihr bestimmt nicht auf, wenn einer fehlt.
Er riss die Augen auf, wandte den Kopf herum und starrte auf den Wecker. Warum landete der Sekundenzeiger eigentlich immer schräg neben dem jeweiligen Strich? Da steckte doch überhaupt keine Genauigkeit drin. Oder lag es an dem Blickwinkel, von dem aus er auf den Wecker schaute?
Er sah zum Fenster hin. Er musste sich jetzt konzentrieren. Hatte seine Frau nicht gestern im Laufe des Abends angedeutet, die Kinder seien nach der Schule in der Gärtnerei verabredet? Oder versuchte er sich da an etwas zu erinnern, was nie gesagt worden war. Hatte seine Frau nicht sogar erklärt, sie würde früher Schluss machen und die Kinder zur Feier des
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