Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Peter Bremer
Vom Netzwerk:
fern dieser bürgerlichen Anhäufung von Tellern, Kerzenständern, Bettlaken, Untertassen und so weiter eine neue Freiheit? Vielleicht empfand seine Frau das sogar schon viel länger als er und wagte es bisher nur nicht zu sagen, weil sie glaubte, er brauche sein Arbeitszimmer. Vielleicht hatte seine Frau sich genauso im Alltäglichen verloren wie er. Vielleicht stand sie dort tatsächlich mit den Kindern vor der Eingangstür und betete, dass er endlich aus dem Bett springen und all diesen Müll, mit dem sie sich seit Jahren umgaben und der all ihre Gefühle zueinander immer tiefer unter sich begrub, mit bloßen Fäusten zerschlagen möge. Auf ein Machtwort von ihm wartete sie. Vielleicht hätte sie dann in aller Frühe ihre Sachen noch schneller gepackt als er.
    Er schloss die Augen. Gleich morgen, alle vier mit einem dünnen Rucksäckchen auf dem Rücken, würden sie aufbrechen und ihre aufgeregten und überschwänglichen Stimmen würden die Nachbarin noch im Schafanzug neugierig aus ihrer Tür ins Treppenhaus treten lassen. Wo führt denn die kleine Reise diesmal hin? An die Ostsee? Gut geraten, liebe Nachbarin, aber leider falsch. Es geht nach Afrika, und zwar für immer.
    Er öffnete wieder die Augen. Würde seine Frau wirklich den Mut haben, sich von allem hier loszusagen, und hätte sie überhaupt das Bewusstsein für das Befreiende dieses Moments? Seine Frau führte hier doch ein ausgefülltes Leben. Für seine Frau würde dieser Aufbruch doch nichts weiter bedeuten, als dass sie ein ausgefülltes Leben an dem einen Ort gegen ein ausgefülltes Leben an einem anderen Ort tauschten. Aber würde sie das für ihn tun? Und was gab ihr eigentlich die Gewissheit, dass er dort unten fester und entschlossener im Tag stehen würde? Was gab ihr die Gewissheit, dass er dort unten nicht, von Kakerlaken bedeckt, teilnahmslos, von morgens bis abends, auf seiner Strohmatte vor sich hin dämmerte und nur hin und wieder mit seinen Fingernägeln am Lehm der Wände kratzte? Würde allein seine Beteuerung, dass er dort unten zu einem lebendigen Menschen würde, ihr schon ausreichen?
    Er schüttelte den Kopf. Er musste diesen Aufbruch schon vorab verkörpern. Von der jetzigen Stunde an musste er diesen Aufbruch mit jeder Faser seines Lebens beglaubigen. Allein der Gedanke an diesen Aufbruch musste in ihm einen neuen Menschen zutage fördern, einen Menschen, zu dem sich seine Frau, mit seit Jahren nicht mehr gekannter Leidenschaft, hingezogen fühlte. Knall auf Fall und widerstandslos musste sich seine Frau in diesen neuen Menschen verlieben. Ein unaufhörliches Versprechen zu sein, das war es, was er jetzt erreichen musste. Kein falsches Signal durfte er mehr aussenden. Nicht mehr jeden Abend über die Hitze jammern! Wie sehr sie ihn lähmte und seine Gedanken tötete. Wie schummrig ihm immer am Schreibtisch war.
    Er ballte die Fäuste. Von heute ab würde er dieses Wetter preisen, sich wohlig am geöffneten Fenster in der warmen Luft rekeln, und abends würde er seiner Frau mit einem Lächeln voller Zufriedenheit und anhaltend guter Laune die Tür öffnen. Guck mich an, mein Schatz! Erkennst du mich noch? Ich bin der Mensch, den du wolltest. Dein Ausblick. Ein Ausblick, so bezaubernd, exotisch und reich, das er uns auf direktem Weg nach Afrika führen wird, ein Ausblick voller Lust und Wärme. Nie wieder Winter! Das würde fortan sein Schlachtruf werden. Reich mir die Hand, mein Schatz, und klettere mit mir auf die Palme. Darf ich dir noch eine Kokosnuss öffnen?
    Er schloss die Augen. Wenn es ihm gelänge, das Zutrauen seiner Frau zurückzuerobern, dann wäre sie auch wieder zu jedem Abenteuer bereit. Aufrecht, in einem winzigen Boot, würde sie, während er hinter ihr ängstlich mit den Kindern und dem Hund auf den Planken kauerte, bei peitschender See nach Afrika übersetzen. Alle mutigen Entscheidungen, die sie jemals getroffen hatten, hatte seine Frau vorangetrieben. Sie war es, die, obwohl damals noch in der Ausbildung, zuerst mit der ihr eigenen Bestimmtheit den Wunsch geäußert hatte, dem ersten Kind sogleich ein zweites folgen zu lassen. Auch die Anschaffung des Hundes hatte sie entschieden, und wenn seine Frau damals, vor fünf Jahren, nicht so tollkühn über alle Bedenken hinweggegangen wäre, dann hätten sie auch diese Wohnung nie gemietet. Es hatten ihnen ja alle abgeraten. Eure Kinder sind eh schon so dünn und blass, so schwach und anfällig, da könnt ihr doch nicht in eine solche Wohnung ziehen. Der Winter

Weitere Kostenlose Bücher