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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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ich sie als dieselbe, die früher auf der Terrasse lechzend und aufgetan vor dem Regen gestanden wie eine weiße, durstende Blume. Ihre kleinen, kränklich schmalen Finger spielten unruhig mitdem Besteck, aber doch, ohne daß es klirrte; und diese Stille um sie tat mir wohl. Auch sie rührte keinen Bissen an, nur einmal griff ihre Hand hastig und gierig nach dem Glas. Oh, sie fühlt es auch, das Fieber der Welt, spürte ich beglückt an diesem durstigen Griff, und eine freundliche Teilnahme legte meinen Blick weich auf ihren Nacken. Einen Menschen, einen einzigen empfand ich jetzt, der nicht ganz abgeschieden war von der Natur, der auch mitglühte im Brande einer Welt, und ich wollte, daß sie wisse von unserer Bruderschaft. Ich hätte ihr zuschreien mögen: »Fühle mich doch! Fühle mich doch! Auch ich bin wach wie du, auch ich leide! Fühle mich! Fühle mich!« Mit der glühenden Magnetik des Wunsches umfing ich sie. Ich starrte in ihren Rücken, umschmeichelte von ferne ihr Haar, bohrte mich ein mit dem Blick, ich rief sie mit den Lippen, ich preßte sie an, ich starrte und starrte, warf mein ganzes Fieber aus, damit sie es schwesterlich fühle. Aber sie wendete sich nicht um. Starr blieb sie, eine Statue, sitzen, kühl und fremd. Niemand half mir. Auch sie fühlte mich nicht. Auch in ihr war nicht die Welt. Ich brannte allein.
    Oh, diese Schwüle außen und innen, ich konnte sie nicht mehr ertragen. Der Dunst der warmen Speisen, fett und süßlich, quälte mich, jedes Geräusch bohrte sich den Nerven ein. Ich spürte mein Blut wallen und wußte mich einer purpurnen Ohnmacht nahe. Alles lechzte in mir nach Kühle und Ferne, und dieses Nahsein, das dumpfe, der Menschen erdrückte mich. Neben mir war ein Fenster. Ich stieß es auf, weit auf. Undwunderbar: dort war es ganz geheimnisvoll wieder, dieses unruhige Flackern in meinem Blute, nur aufgelöst in das Unbegrenzte eines nächtigen Himmels. Weißgelb flimmerte oben der Mond wie ein entzündetes Auge in einem roten Ring von Dunst, und über die Felder schlich geisterhaft ein blasser Brodem hin. Fieberhaft zirpten die Grillen, mit metallenen Saiten, die schrillten und gellten, schien die Luft durchspannt. Dazwischen quäkte manchmal leise und sinnlos ein Unkenruf, Hunde schlugen an, heulend und laut; irgendwo in der Ferne brüllten die Tiere, und ich entsann mich, daß das Fieber in solchen Nächten den Kühen die Milch vergifte. Krank war die Natur, auch dort diese stille Raserei der Erbitterung, und ich starrte aus dem Fenster wie in einen Spiegel des Gefühls. Mein ganzes Sein bog sich hinaus, meine Schwüle und die der Landschaft flossen ineinander in eine stumme, feuchte Umarmung.
    Wieder rückten neben mir die Sessel, und wieder schrak ich zusammen. Das Diner war zu Ende, die Leute standen lärmend auf: auch meine Nachbarn erhoben sich und gingen an mir vorbei. Der Vater zuerst, gemächlich und satt, mit freundlichem, lächelndem Blick, dann die Mutter und zuletzt die Tochter. Jetzt erst sah ich ihr Gesicht. Es war gelblich bleich, von derselben matten, kranken Farbe wie draußen der Mond, die Lippen waren noch immer, wie früher, halb geöffnet. Sie ging lautlos und doch nicht leicht. Irgend etwas Schlaffes und Mattes war an ihr, das mich seltsam gemahnte an das eigene Gefühl. Ich spürte sie näher kommen und war gereizt. Etwas in mir wünschte eineVertraulichkeit mit ihr, sie möchte mich anstreifen mit ihrem weißen Kleide, oder daß ich den Duft ihres Haares spüren könnte im Vorübergehen. In diesem Augenblick sah sie mich an. Starr und schwarz stieß ihr Blick in mich hinein und blieb in mir festgehakt, tief und saugend, daß ich nur ihn spürte, ihr helles Gesicht darüber entschwand und ich einzig dieses düsternde Dunkel vor mir fühlte, in das ich stürzte wie in einen Abgrund. Sie machte noch einen Schritt vor, aber der Blick ließ mich nicht los, blieb in mich gebohrt wie eine schwarze Lanze, und ich spürte sein Eindringen tiefer und tiefer. Nun rührte seine Spitze bis an mein Herz, und es stand still. Ein, zwei Augenblicke hielt sie so den Blick an und ich den Atem, Sekunden, während derer ich mich machtlos weggerissen fühlte von dem schwarzen Magneten dieser Pupille. Dann war sie an mir vorbei. Und sofort fühlte ich mein Blut vorstürzen wie aus einer Wunde und erregt durch den ganzen Körper gehen.
    Was – was war das? Wie aus einem Tode wachte ich auf. War das mein Fieber, das mich so wirr machte, daß ich im flüchtigen Blick einer

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