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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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langweilte mich schon. Und ich dachte daran, hinüber in die Kriau zu gehen oder heimzufahren. Aber kaum daß ich jetzt unwillkürlich den Fuß zum Schritt vorwärts tat, bemerkte ich das blaue Tickett, das vergessen am Boden lag. Ich nahm es auf und hielt es spielend zwischen den Fingern, ungewiß, was ich damit anfangen sollte. Vage kam mir der Gedanke, es »Lajos« zurückzugeben, was als vortrefflicher Anlaß dienen könnte, mit seiner Frau bekannt zu werden; aber ich merkte, daß sie mich gar nicht mehr interessierte, daß die flüchtige Hitze, die mir von diesem Abenteuer angeflogen kam, längst in meiner alten Gleichgültigkeit ausgekühlt war. Mehr als dies kämpfende, verlangende Hin und Her der Blicke verlangte ich von Lajos Gattin nicht – der Dickling war mir doch zu unappetitlich, um Körperliches mit ihm zu teilen – den Frisson der Nerven hatte ich gehabt, nun fühlte ich bloß mehr lässige Neugier, wohlige Entspannung.
    Der Sessel stand da, verlassen und allein. Ich setzte mich gemächlich nieder, zündete mir eine Zigarette an. Vor mir brandete die Leidenschaft wieder auf, ich horchte nicht einmal hin: Wiederholungen reizten mich nicht. Ich sah laß den Rauch aussteigen und dachte an die MeranerGilfpromenade, wo ich vor zwei Monaten gesessen und in den sprühenden Wasserfall hinabgesehen hatte. Ganz so war dies wie hier: auch dort ein mächtig aufschwellendes Rauschen, das nicht wärmte und nicht kühlte, auch dort ein sinnloses Tönen in eine schweigendblaue Landschaft hinein. Aber jetzt war die Leidenschaft des Spiels beim Crescendo angelangt, wieder flog der Schaum von Schirmen, Hüten, Schreien, Taschentüchern über die schwarze Brandung der Menschen hin, wieder quirlten die Stimmen zusammen, wieder zuckte ein Schrei – nun aber andersfarbig – aus dem Riesenmaul der Menge. Ich hörte einen Namen, tausendfach, zehntausendfach, jauchzend, gell, ekstatisch, verzweifelt geschrien: »Cressy! Cressy! Cressy!« Und wieder brach er, eine gespannte Saite, plötzlich ab (wie doch Wiederholung selbst die Leidenschaft eintönig macht!). Die Musik begann zu spielen, die Menge löste sich. Tafeln wurden emporgezogen mit den Nummern der Sieger. Unbewußt blickte ich hin. An erster Stelle leuchtete eine Sieben. Mechanisch sah ich auf das blaue Tickett, das ich zwischen meinen Fingern vergessen hatte. Auch hier die Sieben.
    Unwillkürlich mußte ich lachen. Das Tickett hatte gewonnen, der gute Lajos richtig gesetzt. So hatte ich mit meiner Bosheit den dicken Gatten sogar noch um Geld gebracht: mit einem Male war meine übermütige Laune wieder da, nun interessierte es mich zu wissen, um wieviel ihn meine eifersüchtige Intervention geprellt. Ich sah mir den blauen Pappendeckel zum erstenmal genauer an: es war ein Zwanzigkronen-Tickett, undLajos hatte auf »Sieg« gesetzt. Das konnte wohl schon ein stattlicher Betrag sein. Ohne weiter nachzudenken, nur dem Kitzel der Neugierde folgend, ließ ich mich von der eilenden Menge in die Richtung zu den Kassen hindrängen. Ich wurde in irgendeinen Queue hineingepreßt, legte das Tickett vor, und schon streiften zwei knochige, eilfertige Hände, zu denen ich das Gesicht hinter dem Schalter gar nicht sah, mir neun Zwanzigkronenscheine auf die Marmorplatte.
    In dieser Sekunde, wo mir das Geld, wirkliches Geld, blaue Scheine hingelegt wurden, stockte mir das Lachen in der Kehle. Ich hatte sofort ein unangenehmes Gefühl. Unwillkürlich zog ich die Hände zurück, um das fremde Geld nicht zu berühren. Am liebsten hätte ich die blauen Scheine auf der Platte liegen lassen; aber hinter mir drängten schon die Leute, ungeduldig, ihren Gewinn ausbezahlt zu bekommen. So blieb mir nichts übrig, als, peinlich berührt, mit angewiderten Fingerspitzen die Scheine zu nehmen: wie blaue Flammen brannten sie mir in der Hand, die ich unbewußt von mir wegspreizte, als gehörte auch die Hand, die sie genommen, nicht zu mir selbst. Sofort übersah ich das Fatale der Situation. Wider meinen Willen war aus dem Scherz etwas geworden, was einem anständigen Menschen, einem Gentleman, einem Reserveoffizier nicht hätte unterlaufen dürfen, und ich zögerte vor mir selbst, den wahren Namen dafür auszusprechen. Denn dies war nicht verheimlichtes, sondern listig weggelocktes, war gestohlenes Geld.
    Um mich surrten und schwirrten die Stimmen, Leute drängten und stießen von und zu den Kassen. Ich standnoch immer reglos mit der weggespreizten Hand. Was sollte ich tun? An das Natürlichste

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