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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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dachte ich zuerst: den wirklichen Gewinner aufsuchen, mich entschuldigen und ihm das Geld zurückerstatten. Aber das ging nicht an, und am wenigsten vor den Blicken jenes Offiziers. Ich war doch Reserveleutnant, und ein solches Eingeständnis hätte mich sofort meine Charge gekostet, denn selbst wenn ich das Tickett gefunden hätte, war schon das Einkassieren des Geldes eine unfaire Handlungsweise. Ich dachte auch daran, meinem in den Fingern zuckenden Instinkt nachzugeben, die Noten zu zerknüllen und fortzuwerfen, aber auch dies war inmitten des Menschengewühls zu leicht kontrollierbar und dann verdächtig. Keinesfalls wollte ich aber auch nur einen Augenblick das fremde Geld bei mir behalten oder gar in die Brieftasche stecken, um es später irgend jemandem zu schenken: das mir seit Kindheit so wie reine Wäsche anerzogene Sauberkeitsempfinden ekelte sich vor jeder auch nur flüchtigen Berührung mit diesen Zetteln. Weg, nur weg mit diesem Gelde, fieberte es ganz heiß in mir, weg, nur irgendwohin, weg! Unwillkürlich sah ich mich um, und wie ich ratlos im Kreise blickte, ob irgendwo ein Versteck sei, eine unbewachte Möglichkeit, fiel mir auf, daß die Menschen von neuem zu den Kassen zu drängen begannen, nun aber mit Geldscheinen in den Händen. Und der Gedanke war mir Erlösung. Zurückwerfen das Geld an den boshaften Zufall, der es mir gegeben, wiederum hinein in den gefräßigen Schlund, der jetzt die neuen Einsätze, Silber und Scheine, gleich gierig hinunterschluckte – ja, das war das Richtige, die wahre Befreiung.
    Ungestüm eilte, ja lief ich hin, keilte mich mitten zwischen die Drängenden. Nur zwei Vordermänner waren noch vor mir, schon stand der erste beim Totalisator, als mir einfiel, daß ich gar kein Pferd zu nennen wußte, auf das ich setzen könnte. Gierig hörte ich in das Reden rings um mich. »Setzen Sie Ravachol?« fragte einer. »Natürlich Ravachol«, antwortete ihm sein Begleiter. »Glauben Sie, daß Teddy nicht auch Chancen hat?« »Teddy? keine Spur. Er hat im Maidenrennen total versagt. Er war ein Bluff.«
    Wie ein Verdurstender schluckte ich die Worte ein. Also Teddy war schlecht, Teddy würde bestimmt nicht gewinnen. Sofort beschloß ich, ihn zu setzen. Ich schob das Geld hin, nannte den eben erst gehörten Namen Teddy auf Sieg, eine Hand warf mir die Ticketts zurück. Mit einem Male hatte ich jetzt neun rotweiße Pappendeckelstücke zwischen den Fingern statt des einen. Es war noch immer ein peinliches Gefühl; aber immerhin, es brannte nicht mehr so aufreizend, so erniedrigend wie das knitterige bare Geld.
    Ich empfand mich wieder leicht, beinahe sorglos: jetzt war das Geld weggetan, das Unangenehme des Abenteuers erledigt, die Angelegenheit wieder zum Scherz geworden, als der sie begonnen. Ich setzte mich lässig in meinen Sessel zurück, zündete eine Zigarette an und blies den Rauch gemächlich vor mich hin. Aber es hielt mich nicht lange, ich stand auf, ging herum, setzte mich wieder hin. Merkwürdig: es war vorbei mit der wohligen Träumerei. Irgendeine Nervosität stak mir knisternd in den Gliedern. Zuerst meinte ich, es sei dasUnbehagen, unter den vielen vorbeistreifenden Leuten Lajos und seiner Frau begegnen zu können; aber wie konnten sie ahnen, daß jene neuen Ticketts die ihren waren? Auch die Unruhe der Menschen störte mich nicht, im Gegenteil, ich beobachtete sie genau, ob sie nicht schon wieder nach vorne zu drängen begannen, ja ich ertappte mich, wie ich immer wieder aufstand, um zur Fahne zu blicken, die bei Beginn des Rennens hochgezogen wurde. Das also war es – Ungeduld, ein springendes, inneres Fieber der Erwartung, der Start möge schon beginnen, die leidige Angelegenheit für immer erledigt sein.
    Ein Bursche lief vorbei mit einer Rennzeitung. Ich hielt ihn an, kaufte mir das Programm und begann unter den unverständlichen, in einem fremden Jargon geschriebenen Worten und Tips herumzusuchen, bis ich endlich Teddy herausfand, den Namen seines Jockeis, den Besitzer des Stalles und die Farben rotweiß. Aber warum interessierte mich das so? Ärgerlich zerknüllte ich das Blatt und warf es weg, stand auf, setzte mich wieder hin. Mir war ganz plötzlich heiß geworden, ich mußte mir mit dem Taschentuch über die feuchte Stirn fahren, und der Kragen drückte mich. Noch immer wollte der Start nicht beginnen.
    Endlich klingelte die Glocke, die Menschen stürmten hin, und in dieser Sekunde spürte ich entsetzt, wie auch mich dieses Klingeln gleich einem Wecker

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