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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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seinerzeit das Grundstück hier besorgt, über dunkle Kanäle, vermutete ich. Barbara war – wie Anouk – nicht berufstätig. Sie hatten zwar beide studiert, Amerikanistik die eine, Germanistik die andere, doch waren beide niemals ins Berufsleben eingestiegen.
    Ich drehte an der Mischbatterie und hielt mein Gesicht unter den eiskalten Strahl. Was gab es noch zu wissen? Da war ein Sohn, Martin. Er musste 15 oder 16 sein. Dann dachte ich an das Haus, auf das Anouk gestern vom Auto aus gezeigt hatte. Es war ein klobiges, fast schon protziges Gebäude, von einem hohen Metallzaun umgeben.
    Ich verließ die Dusche, zog ein Paar Boxershorts an und legte mich aufs Bett. Irgendetwas in mir, ein aufkeimendes Widerstreben, hinderte mich daran, nach unten zu gehen und mich mit Anouk und Barbara an den Kaffeetisch zu setzen.
    Hatte ich Angst, dass Barbara allzu schnell bemerken würde, wie wenig ich über meine persönliche Vergangenheit wusste? Wie viel hingegen wusste Barbara? Was hatte Anouk ihr erzählt? Hatten sie sich in den zwei Jahren geschrieben, miteinander telefoniert?
    Barbara strahlte die Selbstsicherheit eines Menschen aus, der
eingeweiht
war. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein, schließlich waren alle Menschen in meinem früheren Lebensbereich informiert. Alle außer mir hatten
das
komplette Bild
. Sie besaßen sämtliche Puzzleteile und es war nur klar, dass sie Sicherheit ausstrahlten.
    Schließlich schob ich mein Unbehagen zur Seite, zog mich nun doch an und ging hinunter.
    Ich erinnere mich noch genau an das Bild, das sich mir bot, als ich die Schiebetür zur Seite drückte: Anouk, in schneeweißem Morgenmantel, die Sonne, die sich in ihrem Haar verfing und es aufleuchten ließ, wie eine Aureole. Die mit grauem Stoff bezogenen Stühle auf ihren Metallrohrbeinen, die um den großen, kühlen Steintisch standen, der Aschenbecher aus dickem Glas, der die Sonnenstrahlen zersplittern ließ. Und Barbara, die sich zu mir umdrehte, eine Zigarette in der Hand, und mich erneut aufmerksam betrachtete. Barbara, im schwarzen Kleid, Barbara, deren Haar rötlich aufflackerte und ihren Kopf wie züngelnde Flammen umgab.
    Engel und Teufel, dachte ich in diesem Moment, Himmel und Hölle an einem Tisch.
     
    Nachdem Barbara gegangen war, räumte Frau Meerbaum, die inzwischen ebenfalls eingetroffen war, die leeren Tassen ab. Unsere Hausangestellte hatte Anouk mit sichtlicher Rührung, mich hingegen auffallend zurückhaltend begrüßt.
    Anouk schlüpfte in eine Jeans und zog ein T-Shirt über den Kopf, um in den Garten zu gehen. Ich blieb allein zurück und sah ihr nach. Durch das Wohnzimmerfenster beobachtete ich, wie Anouk entlang der Hecken von ausgrünendem Buchsbaum marschierte, vorbei an Stauden,  die rot, gelb und blau blühten. Am Rand der ursprünglich säuberlich angelegten Kieswege schoss das Unkraut in die Höhe und altes Laub bedeckte die weißen Kieselsteine.
    Frau Meerbaum trat hinter mich. »Ich soll nix machen, hat sie g’sagt. Im Garten, mein’ ich.«
    Ich wandte mich um. Frau Meerbaum sah an mir vorbei, hinaus zu Anouk.
    Frau Meerbaum gehörte zu der Art von Frauen, die sich wenig oder gar nicht für Mode zu interessieren scheinen. Ihr eckiger Körper steckte in einer blauen Kittelschürze, die ihre ohnehin nicht vorhandene Taille noch ein wenig mehr begradigte. Sie strich mit beiden Händen über ihre Schürze. »Ihre Frau hat noch nie jemanden in ihren Garten g’lassen, außer das eine Mal, als der große Walnussbaum hat weg müssen.«
    Ich erinnerte mich an nichts. Nicht an den Nussbaum, nicht an das Fällen. Ich nickte in der Hoffnung, Frau Meerbaum zum Weitersprechen zu animieren, und sagte dann, als sie noch immer schwieg: »Ja, so ist sie. Sie hat ihren eigenen Kopf.«
    »Wenn ich dran denk’, wie sie all die Buchsbäumerl selber g’setzt hat, Hunderte müssen das g’wesen sein. Und dann die Stauden und erst die Rosen. Wie sie immer nach Steinfurth g’fahren ist, wegen ihrer alten Rosen. Ganz narrisch war’s damit.«
    Ich nickte erneut. Wenn es nicht so bitter gewesen wäre, hätte ich fast darüber lachen können. Bis gestern hätte ich nicht einmal im Traum zu denken gewagt, dass Anouk je einen Spaten in die Hand nehmen würde. Ich seufzte. Nichts war, wie ich vermutete.
    Frau Meerbaum sah mich fragend an.
    Ich lächelte und fühlte mich verpflichtet, irgendetwas zum Gespräch beizutragen. Doch das Einzige, was mir einfiel, war ein allgemeingültiges: »Ja, so Rosen haben schon

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