Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
Vom Netzwerk:
Bedrohliches.
    Ich kam mir so lächerlich vor, konnte aber das Gefühl, das sich meiner mit unbezwingbarer Gewalt bemächtigt hatte, nicht beiseite schieben. Ich meinte ein Flüstern zu hören. Ich wollte zurück ins Wohnzimmer laufen, aber meine Beine versagten den Dienst.
    Genauso unerbittlich wie die Laute des Windes um meine Ohren tanzten, stiegen jetzt qualvolle Bilder in mir auf. Ich konnte sie aber zumindest zuordnen. Sie stammten aus einem Film, den ich vor vielen Jahren gesehen hatte.
    Mein Verstand sagte mir, dass ich erleichtert sein müsste. Es war ja
nur ein Film
, an den ich dachte. Doch die Erleichterung wollte sich nicht einstellen.
    Da war ein Mann, ja, jetzt erinnerte ich mich deutlich, ein Fotograf. Er hatte heimlich ein Liebespaar geknipst. Er meinte, mit seinen Fotos den Zauber ihrer Liebe eingefangen zu haben. Doch beim Entwickeln der Negative erschien eine weiße, teigige Fratze im Gebüsch. Die Kamera hatte einen Toten fotografiert.
    Es schüttelte mich.
    Ich sah, wie Anouk mit dem leeren Korb zurückkehrte, wie sie mit raschen und entschiedenen Bewegungen die Gartengeräte zusammensammelte und wieder aus meinem Gesichtsfeld verschwand.
    Der Ausdruck in Anouks Augen wirkte eigenartig kalt.
    Ich taumelte. War ich tatsächlich dabei, verrückt zu werden? Ich steigerte mich in eine erschreckende Negativität hinein, sah hinter allem und jedem etwas lauern, im eigenen Garten Tod und Verdammnis.
    Das sind aus der Untätigkeit geborene Ängste, dachte ich,
das ist es
. Ich war viel zu lange ziellos durch die Zeit geschwommen und hatte mich ganz und gar auf mich selbst und meine Innenschau konzentriert. Nun war es also so weit, dass ich aus diesem stumpfen Müßiggang heraus zu phantasieren begann.
    Erste Regentropfen fielen, ich straffte die Schultern. So konnte es nicht mehr weitergehen. Ab morgen würde ich wieder in meiner Firma erscheinen.

Wenzlow
    Am Dienstag nach unserer Rückkehr betrat ich zum ersten Mal wieder mein eigenes Unternehmen. Es kam mir vor, als erlebte ich eine mir völlig unbekannte Welt.
    Genau in der Mitte des Betriebsgeländes stand eine alte gelbe Jugendstil-Villa, in der sich die Büros, auch meines, befanden. Im Außenbereich waren nirgends Bäume zu sehen, nur eine einzige riesenhafte, unglaublich alte Ulme, die mich an einen Dom erinnerte. Offensichtlich war sie vom Ulmensterben ausgespart geblieben und ich nahm sie und ihre strotzende Lebenskraft als gutes Omen.
    Als ich das Haus betrat, sah ich, wie der Pförtner, auf dessen Namensschild »Hugo Hartmann« stand, zusammenzuckte. Mit einem Ruck stand er auf, trat durch seine Glastür, ergriff meine Hand und schüttelte sie. Tränen stiegen in seine Augen und ich fragte mich, ob ich ein guter Chef gewesen war. Ich erwiderte seinen Händedruck, meinerseits mit Rührung kämpfend, und murmelte ein paar Worte. Hartmann ging an seinen Platz zurück und ich betrat die Eingangshalle.
    Vor der Treppe blieb ich stehen. Mein Blick schweifte über den Marmorboden, in dessen Mitte ein Stern eingearbeitet war, und über das schmiedeeiserne Geländer mit dem Handlauf aus dunkel glänzendem Holz. Von derEingangshalle gingen vier weiß lackierte Kassettentüren ab. Neben den Türen waren kleine Plexiglasschilder angebracht. In der Mitte zwischen zwei Türen stand auf einer Marmorsäule ein großes Bouquet praller, explodierender Pfingstrosen.
    Ich warf einen raschen Blick über meine Schulter und sah, dass Hugo Hartmann bemüht war, mir nicht hinterherzustarren. Er rutschte unbehaglich auf seinem Drehstuhl hin und her und fixierte die Zeitung vor sich.
    Noch immer stand ich in der Halle herum und wartete wohl unbewusst darauf, irgendetwas wiederzuerkennen. Einen Trumpf hielt ich jedoch in Händen: Es würde
keine
peinliche Vorstellung werden, wenn ich nun mein Büro finden musste. Anouk hatte das Gebäude für mich skizziert, mir jeden Raum und seine Lage beschrieben. Mein eigenes Büro würde ich nicht verfehlen können. Es lag im ersten Stock ganz hinten.
    Langsam marschierte ich die Treppe hinauf. Unterwegs begegnete mir kein Mensch. Ich öffnete die Tür zu meinem  Büro am Ende des Korridors und blieb im Türrahmen  stehen. Wenn ich je auf ein Erlebnis des Wiedererkennens gehofft hatte, so sollte ich nun bitter enttäuscht werden.
    Ich stand hier und fühlte –
nichts
. Nichts als absolute, weiße Neutralität.
    Mein Büro war geräumig, großzügig, luftig. Der Schreibtisch stand in einem halbrunden Erker, im rechten Bereich

Weitere Kostenlose Bücher