Der andere Tod
einen besonderen Zauber.«
Sie sah mich irritiert an, setzte zu einer Bemerkung an,schien es sich dann jedoch anders zu überlegen und klappte den Mund wieder zu. Ich nickte ihr aufmunternd zu, fragte: »Sie wollten gerade etwas sagen?«
Frau Meerbaums Kirschäuglein funkelten schwarz. »Wenn Sie’s wissen wollen,
ja
. Ich dacht’ grad’, das hätten’S früher auch nicht über die Lippen ’bracht. Sie haben ja bloß Augen für d’Arbeit g’habt und den Garten ham’S kaum g’sehen!«
Ich musste verdutzt dreingeschaut haben, denn sie sagte: »Sei’s drum. Jedenfalls hat sie am Telefon immer g’sagt: ›Lassen Sie’s sein. Ich werd tun, was zu tun ist. Wenn wir zurückkommen.‹ Bis vorgestern wusst’ ich ja nicht mal, dass Sie überhaupt wiederkommen würden.« In ihrem Ton schwang eine beleidigte Note mit.
Langsam begriff ich, dass Frau Meerbaum, eine arbeitsame und überaus disziplinierte Dame, ihre Schwierigkeiten damit gehabt haben musste, dem Garten beim Wachsen zuzusehen.
»Die Buchsbäumerl hätten schon im letzten Jahr dringend einen Fassonschnitt ’braucht«, fügte Frau Meerbaum wie zur Bestätigung meiner Vermutung an.
Durch das Fenster sahen wir zu, wie Anouk die Heckenschere ansetzte, in gekonnten Schnitten über die Buchsbäumchen fuhr und deren grüne Triebe abrasierte.
»Sie wird eine Weile brauchen, um das alles wieder in Ordnung zu bringen.« Frau Meerbaum drehte sich um und machte sich daran, den ohnehin sauberen Tisch mit einem Tuch zu bearbeiten.
Ich hätte Frau Meerbaum gerne gefragt. Nach dem Garten, nach Anouks Gewohnheiten, was sie getan hatte, den ganzen Tag, vor dem großen Feuer. Wie hatte sie ihre Stunden verbracht? Mit einer Frau Meerbaum, die den Haushalt führte und einkaufte, kochte und wusch. Mit einemMann, der sich offenbar in seine Arbeit vergraben hatte, Tag um Tag.
Und ich hätte sie gerne nach Anouk und mir gefragt, nach unserem Leben, nach unserer Ehe. Ich hätte sie gerne gefragt: »Haben Anouk und ich uns geliebt?«
Frau Meerbaum verschwand in der Küche und ich sah weiter zum Fenster hinaus. Anouk hatte das Haar mit einem Band im Nacken zusammengefasst. Sie trug Handschuhe. Der Hut, den sie vorhin aufgesetzt hatte, lag auf der Hecke wie auf einem Ablagetisch. Die Sonne war hinter einer grauen Wolkenwand verschwunden. Wahrscheinlich würde es bald regnen.
Anouk war immer noch dabei, die vielen Hecken, die sie eigenhändig in schönen geometrischen Mustern angelegt hatte, zurechtzustutzen. Es war ein friedliches und auch fremdes Bild. Anouk, die etwas tat, von dem ich bis eben nicht gewusst hatte, dass es ihre Passion gewesen war. Ich hatte nicht gewusst, dass meine Frau viele Stunden und Tage ihres früheren Lebens in einem Garten verbracht hatte. Wie viele andere Passionen meiner Frau waren mir noch verborgen geblieben?
Ich erinnerte mich jetzt, dass sie auf unseren Fahrten mit dem Convertible oft auf einige besonders seltene Sträucher aufmerksam gemacht hatte. Plötzlich fiel mir der Pflanzenführer ein, den sie sich in Kalifornien besorgt hatte. Auf unseren Spaziergängen hatte sie mir die seltsamsten Namen daraus vorgelesen: »Coyote Brush, Poison Oak und Sticky Monkeyflower«. In meiner Selbstzentriertheit hatte ich geglaubt, sie wolle mich aufmuntern. Daran, dass sie zur Abwechslung mal eigene Interessen verfolgen könnte, hatte ich auch nicht eine Sekunde lang gedacht.
Der Himmel hatte sein Kleid gewechselt und trug jetzt Trauer. Anouk räumte die Heckenschere auf. Mit einem Rechen kratzte sie den Grünverschnitt auf einen Haufen, packte alles in einen Weidenkorb und verschwand im hintersten und zugleich untersten Gartenteil, dort, wo Büsche mir die Sicht nahmen und außerdem einige größere Bäume standen.
Die Stauden leuchteten noch immer in ihren prächtigen Farben, aber auf einmal erschien mir all der Blütenzauber giftig und unwirklich. Wind war aufgekommen. Er fuhr mit ungeduldigen Fingern durch die Eschen und Birken, zerrte launisch an ihrem Laub.
Ich trat auf die Terrasse. Der Wind war schwülwarm, fast tropisch. Mein Atem stockte kurz. Dann wurde das Rauschen lauter. Der Wind leckte immer heftiger an den silbernen Unterseiten der Blätter, bis sie sich vereinzelt umkehrten und dabei kurz aufblitzten. Die ganze Szenerie griff nach mir wie ein Alptraum.
Ich versuchte, meine völlig haltlosen, irrationalen Wahrnehmungen abzuschütteln. Es gelang mir nicht. Hier draußen in Anouks wundervollem Garten gab es etwas
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