Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit

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aussehende Halle wandern ließ, kam mir eine Idee. Vielleicht würde es helfen, Fotos von der alten, völlig abgebrannten Halle anzusehen. Nur: Gab es derartige Fotos überhaupt?
    Wenzlow war mitten im Satz: »… erst mal mit der Lieferung abwarten.«
    Ich nickte zerstreut und dachte darüber nach, ob sich vielleicht in den Polizeiakten Fotos vom Brandort finden ließen.
    Ein Räuspern drang an mein Ohr. Ich spürte Wenzlows Blick auf mir.
    »Entschuldigen Sie, ich war grad’ … Was sagten Sie?«
    »Was den Simulator für die Syrer angeht, überlegen wir derzeit, ob wir die Lieferung nicht lieber auf Eis legen sollten.«
    Fragend blickte ich ihn an. Wenzlow strich sich über seinen zurückweichenden Haaransatz.
    »Wegen der letzten Rate für den ersten Simulator. Sie haben das Geld einbehalten. Unter einem fadenscheinigen Vorwand. Das syrische Transportministerium hat Bedenken angemeldet wegen dieser alten Geschichte mit der Kabine.«
    Ich starrte vor mich auf den Boden. Das waren lauterböhmische Dörfer für mich und ich brauchte all meine Kraft, um mir nichts davon anmerken zu lassen.
    Nicht zum ersten Mal drängte sich mir die Frage auf, wie weit eine Amnesie eigentlich gehen konnte. War es möglich, dass man das, was man einmal studiert oder gelernt hatte, vergessen konnte, einfach so? Aber die Ärzte hatten mir doch gesagt, dass diese Lücken nicht das Fachwissen mit einschlossen. Und irgendwie hatte ich ja auch verstanden, was Wenzlow mir erzählt hatte. Aber all diese Fachausdrücke, mit denen er wie selbstverständlich um sich warf, diese hoch komplizierten technischen Zeichnungen, all das war mir nicht geläufig.
    Ich erschrak, denn ich war so sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen, dass ich Wenzlow schon wieder nicht zugehört hatte. Er schien das nicht zu bemerken oder zumindest geflissentlich zu übergehen. Mit ruhiger Stimme erklärte er: »Wir hatten damals Schwierigkeiten gehabt, die Original-Lokteile zu bekommen, und waren so ein paar Monate in Verzug geraten. Allerdings hatte sich dann herausgestellt, dass die Syrer ohnehin den Aufstellungsort alles andere als fertiggestellt hatten. Und dennoch wurde unser Rückstand jetzt als Vorwand herangezogen, die letzte Rate nicht zahlen zu müssen.«
    »Tja …« Ich zögerte unter Wenzlows Blick. Erwartete er nun eine Entscheidung von mir?
    Ich musste irgendetwas sagen. »Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als die Summe … äh … abzuschreiben. Oder was meinen Sie?«
    Wenzlow stutzte. Er sah mich an, als hätte ich gerade etwas sehr Ungewöhnliches, ja nahezu Unmögliches gesagt. Einen Moment lang war er so irritiert, dass er kein Wort herausbrachte. Dann schien er sich zu fassen und nickte.
    Ich wollte das nicht so stehen lassen. »Sie halten solch eine Vorgehensweise nicht für richtig?«
    Wenzlow strich sich über die Stirn. »Nun … doch. Aber – ehrlich gesagt – ich bin ein wenig überrascht.«
    »Ach ja? Worüber denn?« Ich suchte seinen Blick, doch er wich mir aus und beschäftigte sich erneut mit der Ausrichtung der Papiere. »Es ist nichts. Nur, dass ich Sie anders in Erinnerung hatte.«
    »Wie denn?«
    »Hmm … wie soll ich sagen … weniger kompromissbereit.«
    »Sie meinen, ich war früher kampfeslustiger? Aggressiver?«
    »So könnte man es vielleicht ausdrücken, ja.« Er sah mich nun direkt und forschend an, als hätte er gerade eine hochinteressante Entdeckung gemacht. Meine neuen Verhaltensweisen schienen ihn zu beeindrucken.
    Ich hatte jedoch keine Lust, mich auf eine weiterführende psychologische Erläuterung einzulassen. Abwehrend seufzte ich: »Dieses Feuer … der Tote … mehr als eineinhalb Jahre Krankenhaus, das ist eine lange Zeit. Man verändert sich, ohne es bewusst darauf anzulegen.« Statt meiner Amnesie beschäftigte mich jetzt eine ganz andere Frage: »Was ist eigentlich mit Russland?«
    Die Reaktion Wenzlows, wenn man das Fehlen einer solchen so bezeichnen konnte, war völlige Verständnislosigkeit. Ich wurde unsicher, doch dann dachte ich an all die russischen Sichtvermerke in meinem alten Reisepass. Ich sagte, wobei ich mich um einen forschen und zugleich belustigten Ton bemühte: »Nun,
irgendetwas
muss ja bei all den Reisen herausgekommen sein … damals.«
    Immer noch schien Wenzlow in keinster Weise zu verstehen, worauf ich hinauswollte. Es war, als würden wirverschiedene Sprachen sprechen. Er räusperte sich und sagte dann so, als täte es ihm leid, mir nichts