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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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in den Gummi geritzten winzigen Buchstaben nicht entziffern. Also nahm ich einen Umschlag aus dem Altpapier, holte das blaue Kissen und drückte den Stempel darauf.
    »Öffentlich bestellte und beeidigte Dolmetscherin für die englische Sprache«, stand im Halbkreis rund um Anouks Namen. Meine Frau war Dolmetscherin und ich hatte keine Ahnung davon gehabt!
    Ich legte Kissen und Stempel vorsichtig zurück an ihren  Platz. Eine Weile lang saß ich einfach nur da, untätig und unfähig, mich zu rühren. Schließlich schob ichdie Schublade zu. Es war jetzt fünf vor sieben. Ich hatte nicht  mehr viel Zeit. Gleich würde Anouk die Haustür aufschließen.
    Mit einem Ruck zog ich die letzte Lade auf. Hier fand ich die Bedienungsanleitung für einen Photosmart, einen Stapel offizieller Briefe, die ich durchblätterte, Passbilder und – ganz hinten – ein in dunkelblaues Leinen gebundenes Buch. Ich hielt es für ein Adressbuch.
    Hastig zog ich es hervor, schlug es auf und sah – Anouks Schrift, flüssig und entschieden hingeworfene Zeilen.
    Das musste ein Tagebuch sein.
    Ehe ich mich versah, hatte ich schon den letzten Satz darin gelesen.
    In diesem Moment hörte ich Schritte auf dem Gang. Schnell und leise schob ich die Lade zu, streifte meine Schuhe ab, schmiss mich aufs Bett und schloss die Augen.
    Ich hörte, wie jemand leise die Tür öffnete und hereintrat. Das musste Anouk sein. Dann war es eine Weile lang ganz still. Ich hielt die Augen fest geschlossen und bemühte mich, so ruhig und gleichmäßig zu atmen, als ob ich fest schliefe. In Wahrheit aber verschlug es mir bei dieser gekünstelten Aktion schier den Atem.
    Ich hatte das dringende Bedürfnis, nach Luft zu schnappen. Es wurde stärker und stärker. Ich konnte es nicht länger unterdrücken. Wenn ich nicht gleich einen tiefen, befreienden Atemzug nehmen würde, würde ich ersticken. Aber ich durfte mich doch nicht verraten!
    Eine jähe, schwarze Angst überkam mich. Warum sagte sie kein Wort?
    Ich hielt es nicht länger aus und öffnete die Lider. Da waren Anouks geheimnisvolle Augen. Meine Frau stand am Fußende des Bettes, regungslos, wortlos.
     
    Es war inzwischen fast Mitternacht geworden. Nach einem kuscheligen Abend zu zweit wollten wir nun zu Bett gehen. Anouk war in der Dusche und ich durchsuchte eilig meinen Nachttisch. Ich staunte nicht schlecht: Da waren Kondome mit Erdbeeraroma, eine halbvolle Tube Gleitcreme, Schnüre und Handschellen.
    Während ich noch immer auf die Sachen in meiner Hand starrte, betrat Anouk das Zimmer, mit nassen Haaren und in ein großes weißes Badetuch gehüllt. Ich versuchte zu lächeln, aber meine Mundwinkel fühlten sich verkrampft an.
    Anouks Blick streifte wortlos die Handschellen. Dann setzte sie sich mit dem Rücken zu mir auf ihre Betthälfte und begann betont langsam, ihre Hände einzucremen.
    Ich räusperte mich und fragte, wobei ich mir töricht vorkam, ein unreifer Junge, der von seiner Mutter mit verbotenem Spielzeug erwischt wurde: »Ist das alles von mir?«
    Mit einem Ruck drehte sie sich zu mir um. In ihren Augen blitzte etwas auf und in ihrer Stimme schwang ein Anflug von Schärfe mit: »Nun, das ist Max Winthers Nachttisch, also werden es auch Max Winthers Sachen sein, nicht wahr?«
     
    Anouk kehrte mir den Rücken zu und sagte: »Gute Nacht.«
    Sie sagte es so knapp wie möglich und ihre Stimme hatte einen Unterton, den ich nicht einordnen konnte. War sie wütend auf mich, war sie traurig? Oder schwang da Verachtung mit?
    Anouks Atem ging regelmäßig. Sie war eingeschlafen. Ich lag neben ihr, immer noch ein Opfer meiner eigenen wilden Gedanken. Und endlich ließ ich die Frage zu, die ich die ganze Zeit verdrängt hatte: Was hatte ich mit diesen Handschellen zu schaffen gehabt?
    Die Antwort war eigentlich klar und ich hätte mich gerne bei Anouk rückversichert, doch der kühle Hauch, der von ihr zu mir herübergeweht war, als sie mich mit den Dingern in der Hand auf dem Bett sitzen sah, deutete keine gute Erinnerung an. Ich wagte nicht, weiter darüber nachzudenken.
    Doch ein anderer unangenehmer Gedanke blubberte jetzt an die Oberfläche. Hatte ich diese Accessoires jemals unter Alkoholeinfluss benutzt? Jaros Erzählung hatte mich noch immer im Griff und ich hoffte inständig, dass ich niemals getrunken und dann etwas mit diesem Equipment angefangen hatte.
    Die Stille erdrückte mich. Nach unserem Aufenthalt in Prag empfand ich diese Ruhe teils als Segen, teils als Fluch. Ich lag hellwach in der

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