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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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Dunkelheit. Die Nacht malte unheimliche Schatten an die Zimmerwand.
    Ich dachte an Wenzlows Worte über Anouk und mich. Und an den Satz, den ich zufällig in ihrem Tagebuch gelesen hatte. Es war nur ein einzelner Satz, aus dem Zusammenhang gerissen, gewissermaßen ein Satz ohne Heimat, der nun in der Dunkelheit über mir schwebte:
Wie ich ihn hasse.
    Wen hatte sie damit gemeint?
    Ich rollte die Gedanken wie Steine hin und her. Sollte ich Anouk ansprechen, sie einfach bitten, mir die Wahrheit zu sagen? Über die Handschellen, den Alkohol, das Tagebuch? Aber sie hatte ja schon vorher – in Prag – etwas vor mir verborgen. Mit pochenden Kopfschmerzen und völlig erschöpft schlief ich irgendwann ein.
     
    Der nächste Morgen brachte mir Küsse und Verwirrung. Ich blinzelte und sah Anouk, die sich nackt und lächelnd über mich beugte. Ihr Haar kitzelte mein Gesicht, meinenHals. Die Schatten der Nacht verschwanden und der gestrige Tag mit seinen Entdeckungen erschien mir nunmehr weit entfernt. Und alles Misstrauen verflüchtigte sich unter ihren Fingerspitzen.
     
    Beim Morgenkaffee, den wir im Bett mit prächtiger Aussicht auf den See tranken, fragte ich sie nach
ihrem
Leben.
    Im ersten Moment sah sie verwirrt aus. Doch dann begann sie zu erzählen und mir fiel auf, dass wir in den vergangenen beiden Jahren fast nur über mich gesprochen hatten. Es war gerade so, als hätte unser beider Kraft nur für das Aufarbeiten von Max Winthers Vergangenheit gereicht.
    Anouk formte ihre Worte zunächst stockend. Doch nach einer Weile flossen sie geschmeidig und ich erfuhr all das, was ich ihr in meinem gestrigen Misstrauensanfall als aktives Verschweigen unterstellt hatte. Sie schilderte mir ihre Liebe zu Pflanzen und dass sie die Pläne für den Garten eigenständig ausgearbeitet hatte.
    Wie nebenbei erfuhr ich auch von ihrer Familie. Dass Anouk zu Hause »die Landschaftsgärtnerin« genannt wurde, dass sie von der Mutter vieles über Symbiosen und Verträglichkeiten, über Kräuterspiralen und Rosenzüchtungen gelernt hatte.
    Es war, als würde ich Anouk gerade erst kennenlernen.
    Wie nebenbei erwähnte sie auch, dass sie schon seit Jahren nicht mehr für das Gericht dolmetschte. Die Lust daran hatte sie durch einen schmierigen Anwalt verloren, der ihr wohl penetrant nachgestellt hatte.
    Anouk griff nach der Thermoskanne und schenkte mir Kaffee nach. Dann küsste sie mich und sagte sanft: »Lass uns fortgehen von hier.«
    Ich hätte mich beinahe verschluckt. Was war das für einplötzlicher Stimmungswechsel? In ihrer Stimme glaubte ich ein eigenartiges Zittern gehört zu haben.
    »Aber wir sind doch gerade erst angekommen.« Meine Worte kamen mir hölzern vor. Darum lenkte ich schnell ein: »Es geht mir gut. Wenn es das ist, worum du dir Sorgen machst.«
    Anouk stellte ihre Kaffeetasse ab, umschlang die Knie mit beiden Armen und blieb so sitzen, ohne etwas zu erwidern.
    Ich hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. »Wir könnten ja für ein verlängertes Wochenende wegfahren. Oder wegfliegen.«
    Sie reagierte nicht und so versuchte ich es noch mal: »Na ja, vielleicht auch eine Woche oder zwei?«
    Anouk horchte auf. »O ja, lass uns wieder nach Prag gehen. Oder wir fliegen nach Arriba. Dort waren wir schon so lange nicht mehr.«
    »Ich dachte eigentlich an etwas ganz anderes.«
    »Ach so? An was denn?«
    »Na, ich möchte gern mal irgendwohin, wo wir beide noch nie waren.«
    Anouk sah mich erwartungsvoll an.
    Ich holte tief Luft. Das war meine Chance. »Ich dachte, wir könnten mal nach Russland fliegen.« Jetzt war es heraus. Gespannt wartete ich. Doch als Antwort erhielt ich nur ein verwirrtes: »Was willst du denn da?«
    Ich räusperte mich, nahm einen weiteren Schluck Kaffee und antwortete: »St. Petersburg. Ich habe im Flieger einen Artikel darüber gelesen. Klang ziemlich interessant.«
    Auf Anouks Gesicht war nicht das leiseste Anzeichen davon zu erkennen, dass wir je einen Fuß auf russischen Boden gesetzt hätten. Ich wagte einen erneuten, deutlicheren Vorstoß: »Die Bilder in dem Artikel waren sehr stimmungsvoll.Wäre es nicht gut, mal etwas ganz Neues zu erkunden?«
    Anouk blickte noch immer skeptisch drein. Verhalten sagte sie: »Wenn du meinst …«
    Es war nur allzu deutlich, dass Anouk noch nie dort gewesen war. Und dass sie nicht wusste, dass ich schon oft Reisen nach Russland unternommen hatte. Offenbar hatte ich ihr von keiner einzigen erzählt.
     
    Zwei Stunden später verließen wir beide das Haus. Ich

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