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Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian DeLeeuw
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ausmachen konnte. Luke warf sich auf einen gepolsterten Lederstuhl und schleuderte seine Sneakers von sich. Seine Füße reichten nicht bis auf den Boden, aber er hatte sich aus einem Stapel alter gebundener Kriminalromane eine Fußstütze gebastelt. Mit den bloßen Zehen nestelte er am Deckblatt des obersten herum und vermeldete: »Mein Vater schläft nicht mehr hier. Aber er kommt manchmal noch zum Abendessen. Montags und donnerstags, glaub ich. Meine Mutter ändert ständig die Tage.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Und heute Abend?«
    Luke runzelte die Stirn. »Ich habe meine Mutter gefragt, und sie sagte, dass sie bei Delphi streiken. Da kann man nur raten. Hast du eine Ahnung, was das heißt?«
    Ich wollte sagen:
Das bedeutet, dass dein Vater wahrscheinlich nicht zum Essen bleibt.
Da ich aber nicht erklären konnte, warum ich das wusste, zuckte ich nur die Schultern. Im Augenwinkel bemerkte ich eine Bewegung. Ich drehte mich zum Puppenhaus um. »Was ist los?«, wollte Luke wissen. Die Püppchen hatten sich bewegt. Ich war ganz sicher. Eine Frau hing an den Füßen vom Kronleuchter herab, ihr kleines rosa Abendkleid bauschte sich um ihren Kopf, zwei Männer lagen mit dem Gesicht nach unten im Salon auf dem Boden, die Hände hinter dem Rücken über Kreuz, als seien sie zusammengebunden. »Oh, das tun sie immer«, erklärte Luke. Er rutschte vom Stuhl und ging einen Schritt auf das Haus zu. Ich folgte ihm. Das Haus ragte bedrohlich aus seiner Ecke hervor. Ich machte noch einen Schritt, und Lukes Schlafzimmer und alles, was sich darin befand, entschwanden. Ich betrat die weißgestrichene Veranda, das Holz knarrte unter meinen Füßen, und ging in die Diele, in der Luke bereits auf mich wartete. Meersalz und Pinien verströmten ihren Duft durch die offenen Fenster; eine Standuhr hielt die Zeit fest.
    »Wo sind wir?«, wollte ich wissen.
    »In Newport«, sagte Luke. »Rhode Island. Im Haus meiner Großmutter. Willst du sie kennenlernen?«
    Die Frau im Esszimmer hing immer noch vom Kronleuchter herab. Ihr Porzellankopf drehte sich und sah uns an. Ihr umgekehrter Mund bewegte sich, brachte aber nichts heraus. »Ich nehme an, sie spricht heute nicht.« Die Füße der Frau lösten sich von den Eisenarmen des Lüsters, so dass sie zu Boden krachte. »Na ja«, sagte Luke, »dann vielleicht ein anderes Mal.« Im angrenzenden Kinderzimmer stand eine Wiege, marineblau mit weißem Rand. Darin lag ein Baby, in Decken gehüllt. Ungerührt sah es uns mit großen Augen an. »Das ist meine Mutter«, sagte Luke. »Nach ihr haben sie keine mehr gemacht.« Über Baby Claire baumelte ein Mobile mit Sternen und Halbmonden. Helles Licht löschte jede Szenerie auf der anderen Seite der Fenster aus.
    »Luke?«
    Wände, Böden und Decken flogen plötzlich auseinander, und James stand im Türrahmen des Schlafzimmers in der Fifth Avenue. »Spielst du schon wieder mit diesem grauenhaften alten Ding?«
    »Ich habe es nur Daniel gezeigt«, sagte Luke. Sein erhitztes Gesicht lief rot an.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also hielt ich den Mund. James sah in meine Richtung und dann wieder zu Luke. »Wir werden uns in Zukunft nicht mehr so oft sehen wie bisher. Du musst verstehen, dass ich nicht will, dass es so ist.«
    Luke zögerte einen Augenblick und fragte dann: »Wer denn?«
    »Was?«
    »Wer will, dass es so ist?«
    James zerrte am Knoten seiner Krawatte. »Niemand will das, Luke. Das passiert eben so.«
    Gespenstische Stille machte sich im Raum breit. Luke war unentschlossen und ließ die Leere zwischen ihnen wirken. Ich wusste, dass jeder den anderen enttäuscht hatte, wusste aber nicht, wie oder warum. Ich wollte jetzt lauter sprechen, die Hand nach James’ Wangen ausstrecken, sie kneifen, ihm die Haare kraulen, Luke einen Klaps auf den Hinterkopf geben, ihm sagen, dass er sich wieder einkriegen solle. Aber ich war unfähig, zu sprechen oder irgendetwas zu tun.
    James setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. »He, entspann dich, Mann. Das ist nicht das Ende der Welt. Soviel wird sich gar nicht ändern.«
    Du musst nicht lügen,
wollte ich sagen.
    Luke schüttelte den Kopf. »Sie sind jetzt anders«, sagte er.
    Claires Stimme drang jäh durch das Apartment. »Alles in Ordnung bei euch?«
    »Nein, das Dach ist eingestürzt, wir wurden alle erschlagen«, rief James zurück. »Lieber Gott«, murmelte er vor sich hin. Dann gab er Luke einen Kuss auf die Stirn und verließ den Raum, während er sich den Schweiß seines Sohnes

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