Der Andere
der Anordnung ihrer Knochen ereignet, ihrer Haltung, ihres Gebarens.
»Mom …«, begann Luke.
»Bitte«, unterbrach sie ihn, »sieh für mich nach Claire.« Sie deutete auf die Kleiderhaufen. »Es ist so viel zu tun. Ich habe keine Zeit dafür.« Wir machten kehrt. »Und mach das Licht aus, wenn du gehst.«
Luke ging zurück in den Flur, um zu tun, worum sie ihn gebeten hatte. Die Seiten an den Wänden raunten und seufzten, als er an ihnen vorbeiging. Er sah mich an, die Hand am Lichtschalter. »Von dieser Sache hier muss niemand etwas erfahren.« Eine Seite hatte sich von der Decke gelöst und schwebte träge schaukelnd zu Boden, dann löschte Luke das Licht, und ich sah nichts mehr.
Am darauffolgenden Morgen sahen wir nach Claire. Sie schlief, lag auf dem Rücken, die Arme über der Brust gefaltet. Sie trug immer noch das schwarze Kleid. Luke stellte sich einen Augenblick an ihr Bett und verließ dann das Zimmer, ohne sie zu wecken. Wir gingen weiter zur Schule. Luke setzte eine aufmerksame Miene auf, während ich Notizen machte. Sogar Omar fiel darauf rein. Ich wusste jedoch, dass Luke mit seinen Gedanken im Apartment war, und sobald nach der letzten Stunde der Schulgong ertönte, lief er die Hintertreppe hinunter durch den Seiteneingang auf die Columbus Street und rannte den kurzen Weg nach Hause. Erst vor dem Eingangsbereich hielt er an, wartete, bis sich seine Atmung etwas beruhigt hatte, ordnete seinen Kragen und strich sein Haar zurück, um jegliche Spuren von Eile zu beseitigen. Oben angekommen, klopfte er an die geschlossene Tür zu Claires Schlafzimmer. Als keine Antwort kam, schob er die Tür vorsichtig auf.
Claire saß im Bett. Sie war jetzt wach, in ihrem Schoß lag eine Silberschatulle, in der sich alte Broschen, Anhänger, Armreife und Uhren befanden. Weitere Schmuckstücke lagen um sie herum auf dem Bett verteilt. Sie trug eine schwarze Perlenkette über ihrem Nachtgewand. Sie sah zu uns auf, und ich bemerkte, dass sie wieder im vollen Besitz ihres eigenen Gesichts war, dass Knochen und Muskeln ihre vertrauten Positionen wieder eingenommen hatten.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Luke. Was für eine belanglose, abgedroschene Frage. Aber was hätte er sonst sagen sollen?
»Ich werde all diese Sachen hier verkaufen müssen«, stellte Claire fest. »Es ist so traurig. Meine Mutter wäre außer sich.«
»Hast du Dr. Eulberg angerufen?« Das war ihr aktueller Psychiater, den Luke und ich bisher nicht kennengelernt hatten. Claire sammelte geradezu Seelenklempner und servierte sie dann in einer Geschwindigkeit wieder ab, der man kaum folgen konnte.
Sie antwortete nicht gleich. Sie klaubte die Rubine, das Silber und Platin, den Goldfisch mit dem Smaragdauge auf, legte alles zurück in die Schatulle, schloss den Deckel und legte den Riegel um. »Ich glaube nicht, dass das nötig ist.«
Wir standen einen Augenblick schweigend in der Tür. »Du hast mir gestern Angst gemacht«, sagte Luke schließlich mit leiser, gänzlich emotionsloser Stimme. Claire sah zu uns hinüber, dann aber schnell wieder weg. »Hast du gehört?«, fragte er. Sie biss sich auf die Lippe und nickte, wirkte plötzlich nur noch halb so alt, wie ein verschüchterter Teenager. Luke sagte: »Also gut!«, als sei gerade ein Projekt abgeschlossen worden. Dann ging er aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.
Bis zum Abendessen war Claire immer noch nicht herausgekommen, also schlug Luke drei Eier auf und machte in der Mikrowelle ein paar grüne Bohnen warm. Das Essen sah aus wie aus Plastik, künstlich. Er brachte ihr den Teller ins Zimmer, wo wir sie genau so vorfanden, wie wir sie verlassen hatten, als sie ihr verschwommenes Spiegelbild auf dem Schatullendeckel betrachtete. Luke stellte das Essen auf dem Nachttisch ab und tippte an den Teller. »Iss was.«
»Jaja«, sagte sie und linste auf die erkaltenden Eier. Als Luke sich nicht rührte, setzte sie ein gequältes Lächeln auf. »Was stehst du noch hier und gaffst mich an?«
Am Dienstag ging es so weiter. Claire schlief, wenn wir gingen, der Schultag verging in schleppender Angespanntheit, und Claire döste in ihrem Bett vor sich hin, als wir zurückkamen. Luke stand in seinem Zimmer und ließ eine Vierteldollarmünze über die Fingerknöchel rollen. »Ich muss etwas tun, ich muss jemanden anrufen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Verhätschel sie doch nicht.« Die Vorstellung, Claire für immer in ihrem Schlafzimmer einzuschließen, sie wegzusperren wie ein
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