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Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian DeLeeuw
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damit machte er kehrt und steuerte auf den Park zu.
    Den Nachmittag verbrachten wir auf tristen, schmutzigen Wegen. Wir hielten nicht einmal an, damit Luke etwas essen konnte. Jede Minute war mir verhasst. Ich verstand diese neue Fixierung auf Dinge nicht, die über ein Jahrzehnt zurücklagen. Schlimmer noch war, dass ich nicht wusste, wie viel und wie lange ich noch für meinen Fehler mit Cassie bezahlen sollte. Ich war an jenem Morgen nicht klar bei Verstand. Aber die Strafe dafür, Lukes Schweigen und sein rätselhaftes Verhalten, erschien mir unverhältnismäßig und ließ ahnen, dass sich das so schnell nicht ändern würde. Angesichts der großen Fortschritte, die ich während unserer ersten gemeinsamen Monate am College bereits gemacht hatte, erschien mir dieser Rückschlag besonders schmerzhaft.
    Schließlich brach die Dämmerung herein, und Luke wurde es zu kalt, um weiter umherzustreifen. Wir hielten uns ein letztes Mal in Richtung Norden und kamen an der Straße gegenüber Claires Haus aus dem Park heraus. Das Apartment fanden wir unverändert dunkel und leer vor. Als wir jedoch weiter hineingingen, entdeckte ich eine schwarze Männerlederjacke, die an einem Türgriff hing. Die Schultern waren in diesem besonderen, gerippten Design gearbeitet, das ich schon einmal gesehen hatte, jedoch nicht gleich zuordnen konnte. Gerade wollte es mir wieder einfallen, als gedämpfte Stimmen aus dem hinteren Teil des Apartments zu uns drangen. Luke ging durch die Diele den Flur entlang. Die Unterhaltung wurde lauter, bis wir vor Claires halb geöffneter Zimmertür stehen blieben.
    »Hallo?«, beendete ihre Stimme zaghaft die Stille in dem Apartment.
    Luke antwortete nicht.
    Dann sprach ein Mann: »Luke, bist du das?«
    »Herzen«, sagte ich.
    Luke drückte die Tür auf. Claire und Gregory Herzen lagen gemeinsam auf dem niedrigen Bett. Die Jalousien waren heruntergelassen, und Claire hatte die Laken bis zum Kinn hochgezogen. Ihre Augen waren groß und glänzten, das dunkle Haar lockte sich um ihr blasses Gesicht. Herzen richtete sich neben ihr auf. Seine Brust war von einer dichten Matte aus schwarzem Haar überzogen, und sein rasierter Kopf schimmerte im Schein der Kerze auf dem Nachttisch. Mir war mit einem Mal klar, dass das schon seit Jahren so ging.
    »Liebling«, sagte Claire. Sie klang, als müsste sie würgen. »Du hast mir gar nicht gesagt, dass du nach Hause kommst.«
    Luke antwortete nicht. Mit schlaff herabhängenden Armen stand er einfach nur da. Er sah ziemlich dämlich aus, unterbelichtet. Der Moment schien endlos, hing wie ein Tropfen an einem undichten Wasserhahn, bis sich Herzen ein Laken um die Hüfte schlang, aufstand und um das Bett herumging. Er war dick, kompakt, ein gutmütiges Kraftpaket. Beschwichtigend hob er eine Hand, wie ein Politiker oder ein Priester. »Luke, mein Freund. Tut mir leid, dass du das hier sehen musst.« Er wirkte so lächerlich, fast wie ein Römer, eine Hand in der Luft, mit der anderen das Tuch zusammenraffend. Ich sah auf seine nackten Füße, auf die wilden kleinen Haarbüschel, die sich auf jedem Zeh türmten. Das Laken bauschte sich auf, wo es auf den Boden traf, und ich hoffte, er würde darüber stolpern und mit dem Gesicht zuerst auf den Mahagoniboden stürzen, um die Lächerlichkeit der Situation zu vervollständigen. Aber Herzen stolperte nicht. Stattdessen streckte er die freie Hand aus und legte sie Luke auf die Schulter.
    Luke schlug sie weg. »Fass mich nicht an.«
    »Luke!«, flehte Claire. Sie klang, als sei sie seine Frau, die ihn betrogen hatte, nicht wie seine Mutter. Sie machte eine Bewegung, als wolle sie aufstehen, war dazu aber nicht imstande. Sie war im Bett gefangen, gefangen durch ihre Nacktheit. Ich konnte über diese beiden Menschen nur lachen, scheinbar so erwachsen, so seriös, schämten sie sich ihrer Körper dennoch so sehr, dass sie sich verlegen bedeckten und dastanden wie schuldbewusste Kinder.
    »Würdest du bitte in deinem Zimmer warten?«, bat ihn Claire. »Nur kurz, bitte.«
    Es schien, als wolle Luke etwas erwidern. Aber einen kurzen Moment später drehte er sich um und ging in sein Zimmer, setzte sich auf die Bettkante und zwang mich, etwas zu sagen.
    »Nimm es deiner Mutter nicht übel.« Herzen erschien in der Tür, er trug wieder seine Uniform aus schwarzen Jeans und schwarzem T-Shirt.
    Luke funkelte ihn an. »Sie ist so zerbrechlich, Gregory. Was machst du da?«
    »Sie ist kein Kind. Sie kann tun, was sie will.«
    »Sie weiß nicht,

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