Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
müssen schon neue Beweise auftreiben.«
»Vom Tatort? Die Wohnung ist völlig ausgebrannt.«
»Vielleicht finden wir seine DNA am Opfer.«
»Das hatte ich auch gehofft, aber die Chance ist gleich null. Sie haben die Leiche nicht gesehen – es gibt nichts, von dem man einen vernünftigen Abstrich machen könnte. Arnie Becker meint sogar, dass er von Glück reden kann, wenn er sie durch ihren Zahnstatus identifizieren kann.«
Farrell war für eine Sekunde still. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie nicht mal sicher sind, dass es überhaupt Nuñez ist?«
»Es war ihr Apartment, Wes. Sie war die Einzige, die dort lebte.«
»Aber wenn sie es nicht nachweislich ist, gibt es auch keine Verbindung zu Ro.«
»Nun hören Sie auf, Wes. Wir beide wissen ganz genau, dass es Nuñez ist – und das folglich alles auf Ro deutet. Es muss Ro sein.«
»Ich weiß, ich weiß. Ich dachte gerade darüber nach, ob das neue Überwachungsprogramm von Sexualverbrechern für diesen Fall in Frage kommt.«
»Mit einem Überwachungsprogramm, das sich jederzeit austricksen lässt, ist uns nicht gedient.«
»Nun, zum Teil schon. Wir bekämen zumindest etwas Luft.«
»Und in der Zwischenzeit bringt er die letzte Zeugin um.«
»Oder auch nicht. Hoffentlich nicht. Wer ist das?«
»Ein anderes von Curtlees’ Hausmädchen. Passt genau ins Profil. Gloria Gonzalvez heißt sie.«
»Wissen wir, wo sie sich aufhält?«
»Noch nicht, aber ich werde es rausfinden. Und wo wir gerade davon sprechen: Wo ist das Problem, einen neuen Prozesstermin anzusetzen – und ihn auf diesem Weg wieder aus dem Verkehr zu ziehen?«
»Ich arbeite daran, Abe, glauben Sie mir. Aber sein Anwalt – kennen Sie Denardi? – muss sich halt erst in den Fall einarbeiten. Er hat Baretto gesagt, dass er mindestens sechs Monate braucht – und trotz meines erbitterten Widerstands hielt Baretto diese Frist für gerechtfertigt. Was bedeutet, dass frühestens im August über den Zeitpunkt eines neuen Prozesses entschieden wird.«
»Mein Gott«, sagte Glitsky. »Der Mann stellt ja selbst eine Bedrohung dar.« Eine Pause. »Also, wie soll’s weitergehen? Wir können ihn nicht einfach weitermorden lassen.«
Farrell kratzte sich mit seinem Handy am Kinn. »Vielleicht hat irgendjemand in der Nähe des Tatorts doch was gesehen oder gehört. Klären Sie Arnie Becker über die Hintergründe auf, und sagen Sie ihm, dass er unter dieser Prämisse noch mal die Nachbarschaft unter die Lupe nehmen soll. Sprechen Sie mit Ihren Ermittlern vor Ort. Besorgen Sie DNA irgendwoher. Wenn Sie irgendwas Handfestes haben, buchten Sie Ro ein. Ich halte dann meinen Kopf dafür hin. Wenn die Anschuldigung aber nicht Hand und Fuß hat, werden sie uns in der Luft zerfetzen.«
6
Das Grundstück mit dem Anwesen der Curtlees lag am oberen Ende der Vallejo Street und nahm das letzte Drittel des gesamten Häuserblocks ein; gleich dahinter schloss sich die grüne Oase namens Presidio an.
Glitsky saß in seinem Dienstwagen, einem Ford Taurus, hatte das Fenster geöffnet und starrte auf das beeindruckende Gebäude auf der anderen Straßenseite. Es war etwa zwanzig Meter vom Straßenrand entfernt, aber erstaunlicherweise völlig zugänglich. Der gewaltige weiße Quader hatte drei Stockwerke, die von Baumkro nen umrahmt wurden. Das Erdgeschoss war hinter üppiger Vegetation verborgen, doch in den beiden oberen Stockwerken brannte hinter sechs der sechzehn Fenster Licht. Vage Bewegungen konnte Glitsky nur hinter dem riesigen Erkerfenster auf der rechten Hausseite ausmachen, das teilweise von gepflegten Büschen verdeckt war.
Er wusste selbst nicht so recht, warum er hier war. Sicher, er hatte einen Mordfall zu bearbeiten, in dem ein Bewohner dieses Hauses, gerade aus der Haft entlassen, sein Hauptverdächtiger war. Andererseits traf alles, was Wes ihm gesagt hatte, ebenso zu: Er hatte weder Beweise noch einen Durchsuchungsbefehl. Ro würde ein Alibi vorweisen können und sich vermutlich weigern, überhaupt mit ihm zu sprechen. Die Curtlees waren nicht nur gestopft, sondern besaßen inzwischen auch im Umgang mit Gesetzeshütern reiche Erfahrung. Sollte Glitsky sein Gesicht zeigen, stände umgehend ein Anwalt in der Tür – und Glitsky würde wie ein begossener Pudel nach Hause schleichen müssen.
Aber das war ihm egal.
Er wollte ihnen – der ganzen Familie – zu verstehen geben, dass er über alles im Bilde war. Und sie daran erinnern, dass er – trotz ihres Geldes, trotz ihrer Macht – beim letzten
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