Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
gleichbedeutend mit einem Besuch der Einwanderungsbehörde.«
Im Auditorium des Centro del Pueblo brandete Beifall auf. Von der Reaktion ermutigt, warf Farrell einen Blick auf seine Freundin und war erleichtert, dass sie ebenfalls klatschte. Sam und er hatten noch keine Antwort auf die Frage gefunden, wie sich sein neuer Job auf ihre Beziehung auswirken würde, und er war dankbar für jedes positive Indiz. In den letzten Wochen – eigentlich seit dem Tag, an dem Ro Curtlee auf Kaution freikam – war die Atmosphäre zwischen ihnen erschreckend frostig gewesen, und vielleicht war dies ja der Beginn des lang ersehnten Tauwetters.
Er schaute auf seine Stichworte und fuhr fort. »Die Gesetzgebung, die San Francisco zu einer ›Stadt der Zuflucht‹ gemacht hat, wird von uns gewissenhaft in Anwendung gebracht, und diese Verpflichtung kommt nun einmal vor allem dann auf den Prüfstand, wenn Einwanderer Opfer eines Verbrechens werden. Es ist die Vorgabe in meiner Behörde, dass im Verlauf einer polizeilichen Ermittlung der Einwanderungsstatus des Opfers nie – niemals – eine Rolle spielen wird. Dieser Faktor steht grundsätzlich nicht zur Debatte. Wenn Sie das Opfer eines Verbrechens wurden, muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass Sie zum Telefon greifen und die Polizei benachrichtigen – und keinen Gedanken daran verschwenden, dass Ihr Einwanderungsstatus möglicherweise ein Problem für Sie werden könnte.«
Und wieder brandete Beifall auf. Aber Farrell war nicht mehr in der Stimmung, die Woge der Wertschätzung entspannt zu genießen, nachdem er einen verstohlenen Blick auf das Display seines Telefons geworfen hatte. Glitskys Name hatte seine Stimmung merklich eingetrübt: Wenn Glitsky ihn um diese Zeit auf seiner Privatnummer anrief, musste etwas passiert sein. Und wenn es bis morgen Zeit gehabt hätte, hätte Glitsky auch bis morgen gewartet.
Was bedeutete, dass es nicht warten konnte.
Nachdem er sich beim Publikum bedankt und persönliche Glückwünsche entgegengenommen hatte, bahnte er sich seinen Weg vom Podium ins Foyer, wo er in Ruhe nachdenken konnte. Er drückte auf das Display seines Handys, um den Chef des Morddezernats zurückzurufen.
Ohne Umschweife fragte Glitsky: »Wissen Sie, wo sich Ro Curtlee aufhält?«
»Wie soll ich das wissen?«
»Also nicht. Haben Sie ihn vielleicht in irgendeiner Form beschatten lassen?«
»Nein, natürlich nicht. Was ist passiert?«
»Felicia Nuñez wurde heute Abend umgebracht. Möglicherweise wurde sie erst vergewaltigt und dann angezündet. Sie wissen doch, wer Felicia Nuñez ist, oder?«
»Natürlich.«
»Wir müssen diesen Burschen aus dem Verkehr ziehen, sofort.«
»Klar doch, das machen wir.« Sein Sarkasmus war nicht zu überhören. »Haben Sie vielleicht auch eine Idee, wie wir das anstellen? Haben sie irgendetwas, das ihn mit dem Tatort in Verbindung bringt?«
»Nein. Alles verkohlt. Ro kam mir auch erst in den Sinn, als ich mich an den Namen der Frau erinnerte. Ich werde ihm die Hölle heißmachen.«
»Nein, das werden Sie nicht, Abe. Nichts, was auch nur im Entferntesten nach Schikane riecht – denn sonst werden wir bis ans Ende der Welt verklagt. Falls Sie ihn festnehmen – oder auch nur für ein Gespräch aufs Revier bringen –, wird er in ein, zwei Tagen wieder frei rumlaufen.«
»Zwei Tage, in denen er niemand umbringen kann.«
Farrell spürte, dass Glitsky unter Dampf stand, aber er hielt es für notwendig, seinen Standpunkt noch einmal zu erläutern. »Hören Sie zu: Es wird schon ein dorniger Weg sein, ihn überhaupt wieder vor Gericht zu zerren. Schikane oder eine ungerechtfertigte Festnahme werden uns nur noch mehr Knüppel zwischen die Beine werfen.« Er atmete tief durch. »Hat die Presse schon Wind davon bekommen? Von ihrer Beziehung?«
»Es waren Übertragungswagen am Tatort, aber ich weiß nicht, ob jemand die Verbindung zwischen Nuñez und Ro hergestellt hat. Aber das ist sicher nur eine Frage der Zeit, eher früher als später. Ich muss einfach mit ihm reden.«
»Und was dann? Glauben Sie etwa, er hat kein Alibi? Glauben Sie etwa, er bittet Sie ins Haus zu einem klei nen Plausch? Und meinen Sie wirklich, Sie würden einen Durchsuchungsbefehl bekommen? Ich sage Ihnen klipp und klar: Die Antwort auf diese Fragen ist ein eindeutiges Nein.«
»Wes, der Bursche gehört hinter Gitter!«
»Ich verstehe Sie, weiß aber nicht, wie ich das anstellen sollte.«
»Widerrufen Sie die Freilassung auf Kaution.«
»Unmöglich. Sie
Weitere Kostenlose Bücher