Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
getragen hatte, ein signierter Ball von seinem Footballteam in San José. Während rechts die Hängeschränke mit den Ermittlungsakten standen, war das Regal mit seiner privaten Lektüre, das hinter dem Schreibtisch bis zur Decke reichte, eher ungewöhnlich für einen Polizisten: Hunderte von Taschenbüchern, darunter eine komplette Sammlung von Patrick O’Brians Seefahrergeschichten, standen dort neben der Encyclopedia Britannica, dem schwergewichtigen »Oxford English«-Wörterbuch, einem Kompendium der Drogentherapie, Dutzenden von Sportbüchern, den englischen Libretti von »Der Barbier von Sevilla« und »Tosca« (Jakob, einer seiner erwachsenen Söhne aus erster Ehe, galt in der Opernwelt als kommende Bariton-Hoffnung), dem kalifornischen Strafgesetzbuch und weiterer juristischer Fachliteratur.
Heute Abend aber würdigte er sie keines Blickes.
Er hatte schon mit dem Gedanken gespielt – und ihn wieder verworfen –, bei dem Amtsrichter im Nachtdienst (der im gleichen Gebäude saß) umgehend einen Durchsuchungsbefehl zu beantragen. Die Begründung: Ro habe sich mit der Aussage verdächtig gemacht, dass es sich bei dem Opfer um eine Frau gehandelt habe. Er tröstete sich mit der Vorstellung, Ros Versprecher bei der Verhandlung zu Protokoll zu geben, wusste aber auch, dass dieser Tatbestand einen Durchsuchungsbefehl in keiner Weise rechtfertigte. Auch wenn es vielleicht irrational war: Der Vorfall hatte zur Folge, dass Glitsky inzwischen felsenfest davon überzeugt war, dass es Ro war, der Nuñez umgebracht hatte.
Glitsky griff sich einen Block und machte ein paar Notizen: Er musste Gloria Gonzalvez auftreiben, die letzte verbleibende Zeugin, bevor sie Ro in die Hände fiel. Er musste für potenzielle Augenzeugen einen »Identifizierungs-Sechserpack«, Porträtfotos von Ro und fünf anderen Männern, anfertigen lassen.
Weitere Fragen, die er notierte: Wie hatte Ro Nuñez aufspüren können? Hatte er sich mit ihr verabredet? Möglicherweise mit ihr telefoniert? Oder alternativ viel leicht einer seiner Anwälte? Lebte sie noch immer in dem gleichen Apartment, in dem sie zur Zeit des ersten Prozesses gewohnt hatte?
Er legte den Notizblock zur Seite, blätterte in seinem Rolodex, griff zum Hörer und wählte Arnie Beckers Handynummer. Trotz später Stunde nahm der Brandinspektor schon beim zweiten Klingeln ab. Da er im Display den Namen des Anrufers sah, kam Becker gleich zur Sache.
»Abe. Hast du was?«
»Ein paar Sachen – vielleicht. Sogar einen Verdächtigen.«
»Ging aber schnell.«
»Bist du noch immer am Tatort?«
»Wir fangen eigentlich gerade erst richtig an. Deine Ermittler sind gerade gegangen. Werde wohl die ganze Nacht hier sein.«
»Hat irgendjemand schon einen Anhaltspunkt, wer diese Nuñez war?«
»Nein. Wir wissen nur, dass sie tot ist.«
»Sie war die Zeugin in einem Mordprozess – und hätte früher oder später wieder gegen den gleichen Mann ausgesagt.«
»Und der heißt?«
»Ro Curtlee.«
»Ist das der Bursche, den Farrell hat laufen lassen?«
»Faktisch war es Baretto, aber, ja: Er ist es.«
»Scheiße. Und dann läuft er gleich los und bringt sie um.«
»So sieht’s für mich aus.«
Becker atmete tief durch. Dann: »Warum lassen sie diese Scheißkerle nur raus?«
»Großartige Frage, Arnie. Muss was mit Justiz und Berufungsrecht zu tun haben. Frag doch mal deinen Abgeordneten.«
»Alles Arschlöcher.«
»Du sagst es. Jedenfalls könnte es sein, dass er mit seinem violetten BMW -Z4-Cabrio unterwegs war und vielleicht in der Gegend geparkt hatte, bevor er zu ihr hochging. Vielleicht hat ja jemand was gesehen. Ich lasse die ID -Sechser anfertigen, damit du sie morgen in der Gegend rumzeigen kannst. Wenn ihn jemand gesehen hat, können wir ihn zumindest ins Präsidium holen und ihn in die Mangel nehmen. Vielleicht können wir mit einem Durchsuchungsbefehl auch sein Haus auf den Kopf stellen. Hast du vielleicht schon irgendwas Sachdienliches gefunden?«
»Vielleicht.« Becker machte eine Kunstpause. »Ich will dir ja keine Hoffnungen machen, aber da gibt es vielleicht eine Kleinigkeit.«
»Mach mir Hoffnung«, sagte Glitsky. »Selbst Kleinigkeiten werden dankbar angenommen.«
Becker zögerte noch immer. »Es ist noch kein endgültiger Befund, und ich weiß auch nicht, was es bedeutet, aber wir haben an ihren Füßen zwei verkohlte Partikel gefunden, beide identisch, vermutlich Gummi oder Plastik. Morgen kann ich dir mehr sagen.«
Glitskys Herz machte einen kleinen
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