Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
Sam Baretto war – und der würde einen Haftbefehl höchstwahrscheinlich nicht unterschreiben. Glitsky wusste aber auch, dass Ro Curtlee umgehend aus dem Verkehr gezogen werden musste. Es waren zwei unvereinbare Szenarien, und das zweite war für Glitsky nicht verhandelbar.
Als er aus dem Aufzug des Polizeipräsidiums stieg, hatte er seinen Entschluss gefasst. Aufgrund der offenen Drohung gegenüber seiner Familie war er sich sicher, dass die Sachlage für eine Verhaftung ohne Haftbefehl mehr als ausreichend war. Wes Farrell hatte zugesagt, dass sich die Staatsanwaltschaft auf seine Seite schlagen würde, sobald man irgendetwas Konkretes gegen Ro in der Hand habe. Obendrein: Nicht nur bei polizeilichen Ermittlungen erwies es sich immer als schlauer, lieber im Nachhinein um Vergebung als im Vorfeld um eine Erlaubnis zu bitten.
Es war seine Pflicht, die ihm keine andere Wahl ließ. Glitsky wusste, was er zu tun hatte.
Jenkins hatte aber wohl recht, ging es ihm durch den Kopf, dass er selbst die Verhaftung nicht vornehmen könne. Er war zu nahe dran, zu sehr in den Fall involviert. Und er wusste auch, dass er ohne Haftbefehl nicht in das Haus eines Verdächtigen eindringen konnte, selbst bei einem Schwerverbrechen. Er hatte aber eine Alternative: Er konnte das Haus von einer Handvoll Polizisten bewachen lassen, die sofort zugreifen würden, sollte Ro auch nur einen Fuß vor die Tür setzen.
Er brauchte nur ein paar Minuten, um die Aufgabenstellung zu erklären und zwei uniformierte Teams sowie einen weiteren Streifenwagen aus der Southern Station zusammenzustellen, die im Erdgeschoss untergebracht war. Sie sollten die erste Schicht an der Curtlee-Villa übernehmen; Glitsky würde sich darum kümmern, dass Personal aus dem Nachtdienst zu ihrer Ablösung bereitstand.
Die fünf Polzisten hatten inzwischen Stellung bezogen und ihre Wagen in der Nähe der Curtlee-Residenz geparkt – Glitsky in seinem Dienstwagen, seine Einsatztruppe in ihren schwarz-weißen Streifenwagen mit dem Drahtgitter vor dem Rücksitz.
Sie waren ausgestiegen und hatten sich hinter Glit-skys Wagen versammelt. Noch immer nieselte es, und die Sicht an diesem späten Nachmittag betrug nicht einmal fünfzig Meter. Doch das Wetter war das Letzte, an das die Männer einen Gedanken verschwendeten.
Glitsky war vom körperlichen Zustand der Jungs begeistert – allesamt kräftige Burschen, vermutlich jünger als fünfundzwanzig, voll motiviert und scharf darauf, mit dem Chef der Mordkommission zusammenzuarbeiten. Alle machten den Eindruck, als würden sie regelmäßig das Fitnessstudio besuchen. Der größte von ihnen – DALY stand auf seinem Namensschild – war weiß und hatte die Arme über seiner Brust verschränkt. Sein Part ner Monroe, drahtig und dunkelhäutig, hielt seine Hände in den Hosentaschen, tänzelte aber entspannt von einem Fuß auf den anderen. Auch die anderen beiden wirkten nicht weniger einsatzfreudig. Alle trugen sie ihre Gürtel mit Pistole, Schlagstock und Handschellen; Glitsky, wie immer in Zivil, trug keinen Gürtel, hatte aber seine Dienstwaffe im Schulterholster unter der dunkelbraunen Gore-Tex-Jacke.
»Was passiert, wenn er nicht rauskommt?«, fragte Daly.
Glitskys Mund verzog sich zu etwas, das wohl ein Lächeln werden sollte. »Wir warten, bis er kommt. Der Junge geht in den Bau.«
Die Streifenpolizisten warfen sich viel sagende Blicke zu, elektrisiert von der Aussicht, dass es diesmal richtig zur Sache ging.
»Ach so«, sagte Glitsky. »Es könnte passieren, dass sich der Butler, ein ziemliches Kraftpaket mit Waffenschein, an unserer Begegnung beteiligen möchte. Sollte er Ärger machen, wird er auch aufs Revier gebracht, klar? Wir gehen kein Risiko ein.«
»Jawohl, Sir«, sagten die vier Männer im Chor.
»Okay, dann geht’s jetzt los.«
Glitsky schickte einen Wagen ans Ende der Sackgasse, damit Ro – sollte er aus dem Haus kommen – der Weg links und rechts abgeschnitten war. In ihrem Enthusiasmus hatten es die beiden Polizisten für sinnvoll erachtet, das Blaulicht auf ihrem Wagen einzuschalten, als sie die fünfzig Meter bis ans Ende der Straße fuhren. Glitsky zuckte zusammen. Zumindest, dachte er, haben sie nicht auch noch die Sirene heulen lassen.
Wie sich herausstellen sollte, hatte das Blaulicht aber völlig gereicht.
Glitsky hatte sich gerade umgedreht und zwei Schritte zu seinem Wagen gemacht, als Ro – mit einem Drink in der Hand – in der Tür erschien und den Gehweg nach unten kam, um sich
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