Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
– zumindest bis sie sich privat mit ihm aussprechen konnte. Sie wählte daher ihre Worte mit Bedacht, als sie sich ausdrücklich hinter seine Vorgehensweise stellte: »Bei allem Respekt: Lieutenant Glitsky ging gestern zu den Curtlees, um den Verdächtigen nach seinem Alibi zu befragen, nachdem eine der Zeuginnen des kommenden Prozesses ermordet wurde. Das war völlig legitime Polizeiarbeit.«
Crawford schüttelte den Kopf. »Das ist nicht die Version der Curtlees. Der Lieutenant nahm die Unterredung nicht einmal zu Protokoll und stellte kaum konkrete Fragen. Und obendrein haben wir gerade von Lieutenant Glitsky selbst erfahren, dass der Curtlee-Sohn bei ihm zu Hause keine explizite Drohung gemacht habe.«
Glitsky schäumte innerlich, aber schaute – da er sich zu unsicher fühlte, um selbst das Wort zu ergreifen – lieber nach links zu Jenkins, die den Ball auch auf griff. »Sir«, sagte sie. »Wenn ein rechtmäßig verurteilter Mörder das Haus eines Polizisten aufsucht und dort Bemerkungen über seine Kinder macht, ist das sehr wohl eine explizite Drohung. Wie hätte er sich denn sonst verhalten sollen?«
»Das ist eine gute Frage, Miss Jenkins, und hier ist die gute Antwort: Ich hätte ihm empfohlen, einen Schritt zurückzutreten und den Fall etwas weniger befangenen Kollegen zu überlassen. Die Minimallösung wäre gewesen, seinen Vorgesetzten zu informieren und einen Haftbefehl zu beantragen. Ich hätte ihm ans Herz gelegt, sich gefälligst an die verdammten Regeln zu halten.«
»Und wenn er sich an die verdammten Regeln gehalten hätte – und zwischenzeitlich seine Familie ermordet worden wäre? Was dann?«, fragte Jenkins.
»Das ist doch melodramatische Scheiße.« Crawford ließ seine Zähne aufblitzen. »Und um ehrlich zu sein: Ich bin schon etwas genervt, dass wir hier über die ach so willkommene ›Drohung‹ diskutieren, wo es doch mir – und morgen der ganzen Stadt, da können Sie Gift drauf nehmen – sonnenklar ist, dass dies nichts als Schattenboxen ist, um von dem eigentlichen Problem abzulenken, nämlich dass Sie« – er zeigte auf Jenkins – »und Sie« – der Finger wanderte zu Glitsky – »eigenmächtig entschieden, den Beschluss des Gerichts, Ro auf Kaution freizulassen, schlicht und einfach zu unterlaufen.«
Jenkins schob ihr Kinn nach vorne. »Bei allem Respekt: Das entspricht einfach nicht der Wahrheit, Euer Ehren.«
Crawford richtete sich auf. »Nein, Miss Jenkins, das ist nicht mal die ganze Wahrheit. Tatsächlich haben wir es hier mit einer Amtsanmaßung von Staatsanwaltschaft und Polizei zu tun, wie man sie sich eklatanter nicht vorstellen kann. Es ist eine klassische Verdrängung der Tatsache, dass es zwischen Vorgehen nach Vorschrift und nackter Schikane eine klare Trennlinie gibt. Und das ist ein Verhalten, das ich nicht akzeptieren werde. Nicht in meiner Stadt. Haben Sie eine Vorstellung, auf welche Summe die Curtlees die Stadt verklagen wollen? Möchten Sie mal raten?«
»Das spielt keine Rolle«, sagte Jenkins. »Sie werden keinen Cent bekommen.«
»Würden Sie Ihren Job darauf verwetten, Miss Jenkins? Denn genau damit bin ich nun konfrontiert. Das ist die Lage, in die Sie mich gebracht haben. Ich muss mich nun auf die Wette einlassen, ob wir eine Schadensersatzklage in Höhe von Hundert Millionen abwehren können oder nicht. Hat jemand von Ihnen eine Vorstellung, wie viel Geld das ist?«
Nach einem Moment der Stille meldete sich Glitsky zu Wort. »Der Mann ist ein verurteilter Mörder, Euer Ehren. Er hat meine Familie bedroht. Er gehört ins Gefängnis.«
»Nun, genau dahin haben Sie ihn ja prompt gesteckt, Lieutenant, gegen den eindeutigen Beschluss des Gerichts. Und wo wir schon mal beim Thema sind: Wie lange, glauben Sie, werden Sie ihn denn dort wohl festhalten können?« Sein Blick wanderte zu Farrell. »Wes, Sie sind bislang so seltsam wortkarg geblieben. Planen Sie wirklich, Klage zu erheben?«
Farrell, noch immer im Regenmantel, hatte seine eigenen Gründe, wütend zu sein. Er hatte sich zurückgelehnt, Arme und Beine verschränkt, und zögerte einen Moment mit der Antwort. »Ich interpretiere Ros Besuch bei Abes Haus ebenfalls als Drohung. Ich gehe davon aus, dass das Gericht bei der Vorführung am Montag unseren Argumenten folgen wird. Abe tat, was er zu tun hatte. Wenn Ro kein Curtlee wäre …«
Crawford fuhr aus seiner Haut. »Aber er ist ein Curtlee, verdammt noch mal. Das ist doch der Knackpunkt. Warum will das keiner verstehen?« Er schaute
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