Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
Polizisten waren inzwischen am Tatort eingetroffen, und gemeinsam verfrachteten sie Ro in einen der Streifenwagen. Und knallten die Tür hinter ihm zu.
9
Gegen 20.30 Uhr war aus dem Nieseln ein stetiger eisiger Regen geworden.
Wes Farrell war nicht der Einzige, der gerade neu in ein öffentliches Amt gewählt worden war. Kathy West war nach zwei Amtsperioden als Bürgermeisterin ausgeschieden und liebäugelte angeblich mit einem Sitz im kalifornischen Parlament in Sacramento. Ihr Nachfolger war der 45-jährige Leland M. Crawford, der zuvor als öffentlicher Verteidiger und Leiter der Rechtsabteilung gearbeitet hatte. Mit dieser Personalie ging auch ein Wechsel im Polizeipräsidium einher: Frank Batiste, der Polizeipräsident, hatte sich einen Tag vor Farrells und Crawfords Amtsantritt in den Ruhestand verabschiedet. Nach einer landesweit angelegten Suche, die qualifizierte Kräfte aus dem städtischen Personalpool geflissentlich überging, fiel die Wahl auf Vi Lapeer, eine 48-jährige Afroamerikanerin, die zuvor als stellvertretende Polizeipräsidentin in Philadelphia gearbeitet hatte.
Noch bevor Ro ins General Hospital von San Francisco eingeliefert werden konnte – wo seine Verletzungen behandelt wurden und er unter Bewachung stand –, hatten die Curtlees bereits Bürgermeister Crawford alarmiert, der wiederum umgehend eine Dringlichkeitssitzung in seinem opulent eingerichteten Büro im Rathaus einberufen hatte. Für Crawford war es die erste Gelegenheit, seine Führungsqualitäten unter Beweis zu stellen. Er war 1,92 groß und hatte schwarze Haare, die an den Schläfen das erste Grau zeigten. Er wäre nach landläufiger Meinung als »gut aussehend« durchgegangen, wären da nicht ein übertrieben zähnefletschendes Lächeln und die Spuren seines ständigen Kampfs gegen Akne gewesen. Anders als Farrell nutzte Crawford seinen riesigen Schreibtisch, um eine Barriere zwischen sich und seinen Besuchern aufzubauen, hatte an diesem Abend aber andere Probleme. Hemdsärmelig saß er auf der Vorderseite des Schreibtischs, vor sich im Halbkreis – von links nach rechts – Farrell, Lapeer, Glitsky und Amanda Jenkins.
Crawford war nicht unbedingt das, was man polizeifreundlich nannte. Wie Farrell – eine ihrer wenigen Gemeinsamkeiten – war er zeit seines Lebens Verteidiger gewesen. Er war davon überzeugt, dass unangemessene Gewaltanwendung auf der Tagesordnung stand und bürgerliche Rechte von der Polizei mit Füßen getreten würden. Nun hatte er es also, kaum dass er im Amt war, mit einem Paradebeispiel zu tun, und nach dem, was er von den Curtlees zu hören bekommen hatte, würde er von einem nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung dafür verantwortlich gemacht werden.
Da er nicht die Absicht hatte, den Dingen ihren Lauf zu lassen, hatte er dieses Meeting einberufen. »Sie erzählen mir also, Lieutenant«, sagte er gerade zu Glitsky, »dass Sie, obwohl Sie wussten, was wir inzwischen alle wissen, noch einmal in der gleichen Weise vorgehen würden?«
»Ohne mit der Wimper zu zucken«, sagte Glitsky. »Der Mann hat meine Familie bedroht. Ich würde es morgen wieder genauso machen.«
Crawfords Stimme wurde merklich erregter. »Sie wür den es morgen wieder tun? Ohne Haftbefehl? Nachdem der Staatsanwalt es Ihnen verboten hatte? Ohne ihn oder mein Büro zu informieren? Sind Sie völlig von Sinnen, Lieutenant, oder haben Sie nur den Verstand verloren?«
»Entschuldigen Sie, Sir«, sprang Vi Lapeer ihrem Untergebenen bei. »Wenn Ro Curtlee nicht rausgekommen wäre und betrunken die Polizisten attackiert hätte, wäre all das nicht passiert. Der Lieutenant wollte die Gefahr nur unterbinden, während die vorgeschriebenen Maßnahmen eingeleitet wurden.«
»Das ist aber nicht mein Informationsstand.« Crawford hatte den Einwand erwartet und gab sich kurz angebunden. »Wie ich die Curtlees verstanden habe, hatte Ro nie die Absicht, bei dem Besuch von Glitskys Haus irgendjemanden zu bedrohen.«
Jenkins lachte laut auf. »Ja sicher.«
Crawford starrte sie an. »Es ist wahr, Miss Jenkins. Vielleicht wussten Sie nicht, dass Lieutenant Glitsky am Abend zuvor Ro Curtlee besucht hat – offensichtlich nur, um ihn zu schikanieren. Ro wollte mit seinem Besuch den Lieutenant spüren lassen, wie sich das anfühlt.«
Lapeer rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Auch wenn sie davon überzeugt war, dass Glitsky nicht korrekt gehandelt hatte, so fühlte sie sich doch verpflichtet, ihren Untergebenen zu verteidigen
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