Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
die Tür kommen sah, lehnte sich Durbin zu Novio hinüber. »Das ist Glitsky, der Typ mit der Hakennase und der Narbe. Und Vi Lapeer, die neue Polizeichefin.«
Als Nächstes erschien Farrell, der übernächtigt aussah, aber einen perfekt sitzenden dunklen Maßanzug mit weißem Hemd und roter Krawatte trug.
Gleich hinter ihm kam eine Frau, die Durbin ebenfalls erkannte. »Was macht die denn hier?«, sagte er zu Chuck.
»Wer?«
»Die Alte mit den langen Beinen, Amanda Jenkins.«
»Wieso kennst du sie?«
»Sie war die Staatsanwältin in Ros Prozess. Ich wusste nicht, dass sie auch was mit diesem Fall zu tun hat.«
»Ich hab den Eindruck, als seien Hinz und Kunz mit diesem Fall beschäftigt.«
Glitsky und Lapeer waren inzwischen durch die niedrige Ballustrade in den Zuschauerraum gekommen und hatten sich auf reservierte Plätze in der ersten Reihe gesetzt; Farrell und Jenkins nahmen, direkt vor ihnen, am Tisch der Anklage Platz. Selbst aus der Entfernung glaub te Durbin spüren zu können, dass zwischen den beiden Anklägern Eiszeit angesagt war.
Am Tisch der Verteidigung saß ein elegant gekleideter älterer Mann mit längeren weißen Haaren. Nachdem er offensichtlich ein Zeichen des Gerichtsdieners bekommen hatte, drehte er sich um, sprach kurz mit den Curtlees, die gleich hinter ihm saßen, nickte und verließ durch die Hintertür den Saal.
»Showtime!«, sagte Novio.
Durbin schluckte, um seine wachsende Nervosität zu bekämpfen. »Kann nicht mehr lange dauern.«
Unter den Zuschauern brach plötzlich aufgeregtes Ge murmel aus, und Durbin konnte sich gerade noch rechtzeitig umdrehen, um zu sehen, wie Leland Crawford den Sitzungssaal betrat, in ein scheinbar wichtiges Gespräch mit Sheila Marrenas vertieft. Nachdem er sichergestellt hatte, dass der Saal seine Anwesenheit registriert hatte, setzte er sich auf einen – offensichtlich reservierten – Platz direkt neben Cliff Curtlee. Amanda Jenkins, die den Vorgang verfolgt hatte, flüsterte etwas in Richtung des Staatsanwalts, und Farrell, anscheinend überrascht, drehte sich auf seinem Stuhl, um sich selbst zu überzeugen. Es war ein Signal, das an Eindeutigkeit nichts zu wünschen ließ.
Fast unbemerkt war der Curtlee-Anwalt zusammen mit seinem Klienten durch die hintere Tür in den Saal gekommen.
Als Durbin ihn zum letzten Mal gesehen hatte, vor fast zehn Jahren bei der Urteilsverkündung, war Ro ein frisch rasierter, gut aussehender junger Mann mit kurzen Haaren und einem dreiteiligen Anzug. Heute signalisierte sein Äußeres die Resignation eines gebrochenen Mannes, der seine besten Jahre längst hinter sich hat. An Händen und Füßen gefesselt, bekleidet mit einem orangefarbenen Sträflingsoverall, trug er seinen eingegipsten Arm in einer Schlinge, war weder gekämmt noch rasiert, hatte noch immer geschwollene Lippen, ein Pflaster über der Nase und ein Veilchen am Auge. Als er mit seinem Anwalt durch den Saal zum Tisch der Verteidigung schlurfte, verstummten alle Gespräche – um darauf umso empörter aufzuflammen.
Novio konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er sich zu seinem Schwager drehte und hinter vorgehaltener Hand flüsterte: »Super Schachzug. Sie setzen voll auf die Mitleidsnummer.«
Durbin hörte von der anderen Seite der Galerie einige Anti-Polizei-Slogans – »Nazis«, »Schläger«, »Schweine« –, doch bevor die Unmutsbekundungen überhandnehmen konnten, hatte sich Ro schon gesetzt und der Gerichtsdiener rief: »Alle erheben sich. Das Oberlandesgericht des Staates Kalifornien beginnt mit der Sitzung. Den Vorsitz führt Richterin Erin Donahoe.«
11
Auf den ersten Blick schien Donahoes zierliche Erscheinung auf eine unscheinbare, nicht unbedingt dominante Persönlichkeit hinzudeuten. Wenn sie grübelte oder lachte, war sie sogar durchaus attraktiv: eine Stupsnase, hellblaue Augen, eine modische randlose Brille und schulterlanges blondes Haar, das sich auch in einer Shampoo-Werbung gut gemacht hätte. Wurde sie indes mit unerwarteten Turbulenzen konfrontiert, konnte sich ihr Gesichtsausdruck schnell und dramatisch verändern: Die Augen verengten sich zu drohenden Schlitzen, die Lachfältchen mutierten zu Krähenfüßen und die schmalen Lippen kräuselten sich zu einem kreisrunden, spitzen Mündchen. Wenn sich dann auch noch ihre Wangen rot färbten, war das Donnerwetter nicht mehr fern. Als sie sich nun zum Richterstuhl begab, schien ihr offensichtlich schon im Vorfeld eine Laus über die Leber gelaufen zu sein. Ihr
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