Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
Missvergnügen war jedenfalls mit Händen greifbar.
Während die Zuschauer wieder ihre Plätze einnahmen, warf sie Ro Curtlee einen kritischen Blick zu. Durbin war sich nicht sicher, ob es ein Kommentar zu seinen Verletzungen und seinem allgemeinen Erscheinungsbild war – oder weil sie es nun mal mit einem Vergewaltiger und Mörder zu tun hatte. Aber ihr Blick wurde nicht freundlicher, als sie erst zur Staatsanwaltschaft und dann auf das Publikum schaute, das inzwischen erwartungsvoll an ihren Lippen hing.
»Lassen Sie mich eines gleich klarstellen«, sagte sie so leise, dass es im Zuschauerraum kaum hörbar war. »Ich habe heute 85 Zeilen und 13 Vorverhandlungen auf dem Programm, und ich gedenke, sie alle abzuhaken.« Fälle vor dem kalifornischen Oberlandesgericht wurden »Zeilen« genannt, weil im digitalen Terminkalender jeder Fall genau eine Zeile einnahm. »Auf Ansuchen von Mr. Farrell werde ich Zeile 12 vorziehen, erwarte aber, dass dieser Zirkus hier schleunigst wieder aus meinem Gerichtssaal verschwindet, damit ich ungestört arbeiten kann. Bitte nehmen Sie zu Protokoll, welche Anwälte die beiden Parteien vertreten.«
Nachdem diese Formalie erledigt worden war, belehrte Donahoe beide Parteien, dass es sich heute nicht um eine Voruntersuchung handele, sondern ausschließlich um die Anhörung zur Festsetzung einer Kaution. »Wir werden uns nicht den ganzen Morgen damit beschäftigen. Ich hoffe, Sie haben das verstanden, Mr. Farrell?«
»Ja, Euer Ehren.«
»Mr. Denardi?«
»Verstanden, Euer Ehren.«
»Nun gut. Möge der Gerichtsschreiber die betreffende Zeile aufrufen.«
Ohne aufzublicken, meldete sich die Justizangestellte zu Wort. »Zeile 12: The People of the State of California gegen Ro Curtlee.«
»Mr. Denardi, verzichtet Ihr Klient auf weitere Belehrungen?«
Denardi stand auf. »Jawohl, Euer Ehren.«
»Schuldig oder nicht schuldig?«
Auf ein Zeichen seines Anwalts stand Ro Curtlee auf und sagte: »Nicht schuldig.«
Donahoe beschränkte sich weiter auf die organisatorische Vorgehensweise. »Bevor wir uns mit dem Fristenverzicht beschäftigen, Mr. Denardi, nehme ich an, dass Sie sich für die Beibehaltung der Kaution aussprechen wollen?«
Mit einem Mal war das juristische Vorspiel vergessen. Denardi, noch immer stehend, fuhr gleich schwere Geschütze auf. »Hohes Gericht! Im Verlauf einer unberechtigten Festnahme ohne Haftbefehl, durchgeführt von Lieutenant Glitsky und zwei weiteren Polizisten, wurde mein Klient am Samstagabend so schwer verletzt, dass Sie sich noch heute von einigen der Verletzungen ein Bild machen können …«
»Euer Ehren.« Amanda Jenkins war aufgesprungen. »Ich verwehre mich gegen die Darstellung der Verteidigung, dass es sich um eine unberechtigte Festnahme gehandelt habe. Der Angeklagte hatte Lieutenant Glitskys Haus aufgesucht und ihn und seine Familie bedroht, was laut Gesetzbuch, Paragraf 422 …«
»Euer Ehren. Erlauben Sie …?« Denardi wartete gar nicht erst darauf, dass ihm das Wort erteilt wurde – und Donahoe machte auch keine Anstalten, es ihm zu verweigern. »Die Darstellung der Anklage, dass es sich bei Mr. Curtlees Besuch um eine Drohung handele, die Paragraf 422 nach sich ziehe, ist absurd und durch keine Tatsachen belegbar.«
Auch wenn es das Procedere eigentlich verlangte, dass sich die Anwälte mit ihren Statements nur an den Richter wenden, hatten beide Parteien die juristischen Umgangsformen längst über Bord geworfen. Donahoe war nicht willens, vielleicht auch nicht in der Lage, sie davon abzuhalten. Jenkins drehte sich herum und wandte sich direkt an Denardi. »Leugnen Sie, dass er bei Glitskys Haus war?«
Der ältere Anwalt schüttelte belustigt den Kopf. »Nein, natürlich war er dort, aber nur um auf diese Weise gegen den Besuch von Lieutenant Glitsky am Vorabend zu protestieren, der in keiner Weise berechtigt war.«
»In keiner Weise berechtigt war? Sie belieben zu scherzen. Lieutenant Glitsky untersuchte den Mord an einem der Zeugen in Mr. Curtlees früherem Prozess. Ich nenne das einen zwingenden Grund.«
»Wenn Sie denn einen Akt reiner Schikane partout so interpretieren möchten …«
»Du meine Güte. Vielleicht bin ich ja nicht gewillt, Ihre gekaufte Interpretation zu akzeptieren. Die Tatsachen sprechen nun mal für sich.« Jenkins drehte sich zur Richterin zurück. »Euer Ehren, die Darstellung der Vorgänge als Schikane und Polizeibrutalität entbehrt jeder Grundlage und ist offenkundig lächerlich. Die Zeuginnen aus Mr.
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