Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
konnte Glitsky ihr nicht sagen. »Schauen Sie«, sagte er. »Wer immer abgedrückt haben mag: Ro war letztlich der Auslöser. Er ist für alles verantwortlich.«
Glitskys Überdosis Vitamin D, so das denn der Grund war, hatte sich bereits verflüchtigt, als er an Darrel Braccos Schreibtisch Station machte. Bracco füllte gerade irgendwelche Berichtsbögen aus und war in die Arbeit vertieft, als sich Glitsky auf die Ecke seines Schreibtisches setzte und sagte: »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich sträube, Ihnen diese Frage zu stellen.«
Bracco schaute auf. »Dann fragen Sie nicht.«
»Gut, aber leider haben wir nun folgende Situation: Als ich heute Morgen zur Arbeit kam, war die Welt noch in Ordnung. Ro hatte sich in Luft aufgelöst – und mit ihm all die Fälle, die uns zuletzt beschäftigten. Darüber gibt es doch keine Zweifel, oder?«
»Korrekt. Keine Zweifel.«
»Gut. Und nun fährt Amanda Jenkins heute Morgen ins Labor und lässt die Kugel untersuchen, die ihren Freund getötet hat.«
»Okay.«
»Eben nicht okay. Die Kugel stammt nicht aus Ros Waffe. Es war die Waffe des Bodyguards.«
Bracco faltete die Hände hinter seinem Kopf zusammen. »Was aber noch nicht bedeutet, dass Ro nicht der Schütze war.«
»Hab ich auch gesagt. Es bedeutet nicht, dass Ro nicht geschossen hat. Aber wissen Sie, was es bedeutet? Es bedeutet, dass wir nicht mehr mit Sicherheit behaupten können, dass es Ro war. Es könnte genauso gut der Butler gewesen sein.«
Bracco schnippte mit den Fingern. »Und deshalb hat er auch angeboten, sich dem Lügendetektortest zu unterziehen. Und das Schwein hätte den Test vermutlich auch bestanden.« Er grinste über das ganze Gesicht. »Aber zumindest ein Gutes hat es doch: Nach vierzehn Jahren als Polizist kann ich nun endlich mal sagen: ›Es war der Butler!‹ Ist das nicht cool?«
»Nein. Da es mir lieber wäre, wenn es nicht der Butler war, finde ich das überhaupt nicht cool.«
»Ich würde mir da keinen Kopf machen, Abe. Höchstwahrscheinlich war es Ro. Und was kümmert es uns noch? Alle Beteiligten sind tot.«
»Stimmt nicht. Mich kümmert es sehr wohl.«
»Warum?«
»Weil ich absolut davon überzeugt war, dass Ro Matt Lewis erschossen hatte. Wie wir wissen, hatte er ein Motiv. Er hatte die Gelegenheit. Und er hatte die Mittel. Also stand fraglos fest: Er war es! Aber nun haben wir Zweifel. Vielleicht keine gravierenden Zweifel, aber eben doch Zweifel. Möglicherweise war er nicht der Täter.«
»Aber noch mal: Was für einen Unterschied macht das noch?«
»Es macht einen Unterschied, weil ich mich nun frage, ob in dem anderen Fall nicht auch Zweifel angebracht wären, nämlich bei Janice Durbin.«
»Nein«, antwortete Bracco. »In dem Fall kann es doch keine Zweifel geben: die Schuhe, die Brandstiftung – obendrein noch die zerstörten Gemälde: Das kann nur Ro gewesen sein.«
»Genau«, sagte Glitsky. »Es sei denn, er war überhaupt nicht am Tatort.«
»War er aber.«
»Erinnern Sie sich noch daran, als Sie mit ihm in Denardis Büro saßen? Wie er unfreiwillig den Mord an Matt Lewis zugab? Und dann stellt sich heraus, dass er es möglicherweise gar nicht war.«
»Ich glaube noch immer, dass er geschossen hat.«
»Glauben Sie, was Sie wollen, aber in dem gleichen Gespräch gab er uns ein Alibi für den Mord an Janice Durbin. Erinnern Sie sich?«
»Natürlich. Seine Eltern, der Butler und das Dienstmädchen sollten es bezeugen.«
»Das Dienstmädchen«, sagte Glitsky. »Das wäre doch wohl Linda Salcedo, oder?«
Bracco hatte sich weit in seinen Stuhl zurückgelehnt und die Augen geschlossen. »Das war also die Frage, die Sie mir nicht stellen wollten.«
» Nicht wollten trifft es nicht ganz.«
»Dann sage ich noch mal: Fragen Sie einfach nicht.«
»Ich muss. Sie ist sicher die letzte Person in der Welt, die Ro ein Alibi für irgendetwas geben würde. Sie ist noch nicht dem Gericht vorgeführt worden und hat noch keinen Anwalt. Ich möchte, dass Sie sie im Gefängnis besuchen und eruieren, ob sie mit Ihnen sprechen will. Fragen Sie, ob sie sich erinnert, dass Ro an einem Tag in den letzten Wochen früh aufgestanden ist. Sie hat uns ja schon gesagt, dass er normalerweise bis in die Puppen schlief. Wenn sie sein Alibi bestätigen würde … wenn er wirklich nicht am Tatort gewesen sein kann …«
»Er war da, Abe. Er muss da gewesen sein.«
»Ich weiß. Aber es ist besser, wenn wir es schwarz auf weiß hätten. Erheblich besser.«
39
Gegen
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