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Der Angriff

Der Angriff

Titel: Der Angriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vince Flynn
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Gefühl beschlichen, als würde er alles um ihn herum und auch sich selbst aus einiger Entfernung beobachten. Er hatte seit Jahren immer wieder angstvoll von diesem Moment geträumt und gehofft, dass er nie Wirklichkeit werden würde. Der Gedanke, US-Truppen in die Schlacht zu schicken, war für ihn absolut nicht reizvoll und ganz und gar nicht mit Ruhm und Ehre verbunden. Heute Nacht würden wahrscheinlich Menschen sterben, weil er den Befehl zum Einsatz gab. Ganz bestimmt einige auf Seiten des Feindes, vielleicht aber auch welche aus den eigenen Reihen.
    Präsident Hayes hörte dem General aufmerksam zu und bemühte sich, die Situation objektiv zu sehen. Hayes hatte sich intensiv mit Geschichte beschäftigt und wusste, dass es dumm und fahrlässig war, keinesfalls Gewalt anzuwenden. Wenn er heute Abend nicht handelte, würden möglicherweise eines Tages amerikanische Bürger dafür mit dem Leben bezahlen. Man musste dem Terrorismus die Stirn bieten. Und deshalb galt es hier und jetzt eine Entscheidung zu treffen.
     
     
     
    PERSISCHER GOLF, 3 UHR 16 ORTSZEIT
     
    In der iranischen Küstenstadt Bandar Abbas schlurfte ein alter Mann eine staubige Straße entlang. Er war mit einer schmutzigen weißen Djellaba bekleidet, einem einfach geschnittenen Übergewand aus grobem Wollstoff, das bis zu den Fußknöcheln hinabreichte. Seinen Turban hatte er so gebunden, dass er auch einen Teil des Gesichts verhüllte. An den Füßen trug er abgetragene Ledersandalen. Der Wind blies vom Persischen Golf herüber, und der nächtliche Himmel war von Wolken verhangen.
    Der zittrige alte Mann murmelte im Gehen irgendwelche Worte in Farsi, der Landessprache, vor sich hin. Doch wie so oft im Leben trog auch hier der Schein. Unter dem abgetragenen Turban und der zerlumpten Djellaba verbarg sich ein fünfundneunzig Kilo schwerer durchtrainierter Körper. Mitch Rapp, ein einunddreißigjähriger Amerikaner, hatte eine Woche nicht geduscht. Seine tiefbraune Haut war mit einer Schmutzschicht bedeckt, und sein schwarzes Haar samt Bart war grau gefärbt, sodass er doppelt so alt aussah wie er war.
    Vormittags und am frühen Nachmittag hatte er in einer winzigen Wohnung geschlafen. Danach war er mit einer alten braunen Stofftasche durch die Straßen gewandert und hatte weggeworfene Getränkedosen und Flaschen gesammelt. Er vermittelte den Eindruck eines zittrigen alten Penners – doch seine Augen und sein Geist waren wachsam. Aufmerksam beobachtete er Türen und Fenster und lauschte allen Gesprächen rund um ihn, um vielleicht einen brauchbaren Hinweis aufzuschnappen. Und vor zwei Tagen hatte er endlich die entscheidende Spur entdeckt. Rapp war auf der Suche nach einem Mann – einem Mann, den er töten wollte.
    Seine Jagd nach diesem Mann hatte ihn in so manche raue Gegend im Nahen und Mittleren Osten, in Nordafrika und Europa geführt. Dabei war Rapp selbst angeschossen, mit dem Messer attackiert und verfolgt worden – und immer wieder hatte es der Mann, dem er auf den Fersen war, geschafft, ihm im letzten Augenblick zu entwischen. Vor sechs Monaten, an einem verregneten Abend in Paris, hätte Rapp seine Chance wahrnehmen können – und er hatte es vermasselt. Ein kurzer Moment des Zögerns hatte Rafik Aziz die Möglichkeit gegeben, ihm um Haaresbreite zu entwischen. Nie wieder sollte das vorkommen, hatte Rapp sich seither tausendmal geschworen. Das nächste Mal würde er abdrücken – egal, ob ein unschuldiger Passant in der Nähe stand oder nicht.
    An diesem Abend war Rapp fest entschlossen, die Spur erneut aufzunehmen. Er kam wieder in die Nähe des Hauses, das er vor zwei Tagen entdeckt hatten und suchte die Dächer und Fenster nach eventuellen Wachposten ab, die ihm bisher vielleicht entgangen waren. Der Duft der salzigen Luft, der sich mit dem Gestank der Abfälle vermischte, schärfte seine Sinne noch mehr. Er befand sich auf feindlichem Territorium und begab sich direkt in die Höhle des Löwen. Die Straßen, durch die er hier wanderte, gehörten der Hizbollah, einer von mehreren militanten islamistischen Gruppierungen, die die Politik im Nahen Osten maßgeblich beeinflussten. Diese terroristische Gruppierung hatte im Zuge ihres Djihad, des Heiligen Krieges, Tausende getötet. Und jetzt stand Rapp direkt vor ihrem Stützpunkt hier in der schmutzigen Küstenstadt Bandar Abbas. Er hatte in seinem Beruf schon früh gelernt, dass seine Feinde dort am verwundbarsten waren, wo sie sich zu Hause fühlten und am ehesten ihre gewohnten

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