Der Angriff
Flugzeugs.
»Er ist okay. Ich habe ihm genau die Dosis verabreicht, die Sie angegeben haben.«
»Gut.« Dr. Hornig stellte ihren riesigen silberfarbenen Aktenkoffer auf den nächstgelegenen Sitz und drehte sich zur Tür um. »Das sind meine Assistenten Sam und Pat.«
Rapp wandte sich den beiden Männern zu und nickte.
Beide trugen ebenfalls große silberfarbene Koffer mit sich. »Ganz hinten ist eine Schlafkabine«, sagte Rapp. »Das ist wahrscheinlich der beste Platz für Ihre Arbeit.«
Dr. Hornig stimmte ihm zu und ging mit ihren Assistenten in den hinteren Bereich der Maschine.
Rapp sah zu, wie sie Harut in die Schlafkabine trugen und beschloss, dass ihm ein wenig frische Luft nicht schaden konnte. Als er aus dem Flugzeug ausgestiegen war, hatte er das seltene Verlangen nach einer Zigarette. Zu rauchen war eine dumme kleine Angewohnheit, die er sich irgendwann im Laufe seiner Arbeit zugelegt und wieder abgewöhnt hatte. Von Zeit zu Zeit überkam ihn aber immer noch die Lust auf eine Zigarette. Er blickte nach links, wo ein Mann gerade dabei war, die Maschine aufzutanken. Rapp beging beinahe die Dummheit, den Mann um eine Zigarette zu bitten – doch er sah gerade noch rechtzeitig das Zeichen für Feuergefahr an der Seite des grünen Tanklasters. Unschlüssig stand er neben dem Flugzeug und blickte sich um. Der tief hängende graue Himmel und die eintönigen Flugzeughangars vermittelten ihm ein Gefühl der Trostlosigkeit.
Rapp spürte, wie sich seine Stimmungslage verdüsterte, und kämpfte dagegen an. Es war ein Anflug von Selbstmitleid, der entweder durch die trostlose Umgebung oder durch die Ankunft von Dr. Hornig hervorgerufen worden war, wahrscheinlich aber von beidem zusammen. Diese kleinen Stimmungsschwankungen hatten ihn im vergangenen Jahr immer häufiger überkommen. Rapp glaubte zu wissen, was der Grund dafür war. Es hatte nichts mit dem Schmerz und der Trauer zu tun, die er vor fast zehn Jahren empfunden hatte. Nein, das hier war anders. Es glich mehr einer warnenden Stimme, die ihm zuzuflüstern schien, dass seine Zukunft, wenn er nicht bald etwas unternahm, auf einem ganz bestimmten Weg verlaufen würde – einem Weg, der von Einsamkeit geprägt sein könnte.
Bevor er zu seinem letzten Einsatz aufgebrochen war, hatte er mit Irene Kennedy darüber gesprochen. Seine Eltern lebten nicht mehr, und obwohl er immer noch Freunde außerhalb der Arbeit hatte und auch einen Bruder in New York, der ihm sehr nahe stand, war es nicht so, dass er jederzeit zum Telefon greifen und über seinen Tag im Büro plaudern konnte. Natürlich konnte er über sein Computer-Beratungsgeschäft reden so viel er wollte, aber der Geheimdienst war Tabu. Offiziell arbeitete Rapp gar nicht für die CIA. Er führte ein Leben, das völlig getrennt von der Agency verlief. Mit Hilfe der CIA leitete er ein Computer-Beratungsgeschäft, das Geschäftspartner in verschiedenen Ländern bediente, was ihm einen Vorwand zum Reisen gab. Abgesehen von der Arbeit war seine einzige Leidenschaft im Leben die Teilnahme an dem jährlichen Ironman-Wettbewerb auf Hawaii, den er sogar schon einmal gewonnen hatte.
In seinen düsteren, bedrückenden Momenten hatte Rapp bisweilen gedacht, wie verkorkst sein Leben doch war, oder, schlimmer noch, wie verkorkst es noch werden würde. Er fragte sich oft, ob es noch normal war, dass man sich so sehr von dem Gedanken besessen fühlte, einen bestimmten Menschen zu töten. Er wusste, dass das der Kern des Problems war, und hatte einmal im Scherz zu Irene Kennedy gesagt: »Die meisten Leute haben eine Liste mit Dingen, die sie tun wollen, bevor sie ein bestimmtes Alter erreichen, wie zum Beispiel Fallschirmspringen, eine Reise nach China machen, ein Kind bekommen … aber ich habe so was nicht. Auf meiner Liste der Dinge, die ich tun will, bevor ich vierzig bin, steht nur eins: Fara Harut und Rafik Aziz töten. Ich frage dich, ist das noch normal?«
Über diese Dinge zu scherzen, hatte für Rapp einen therapeutischen Wert. Ohne Humor hätte er das alles längst nicht mehr ertragen. In seinem Job war es entscheidend, dass man sich eine gewisse Lockerheit bewahrte, damit die innere Anspannung nicht zu groß wurde. Rapp hatte sein Problem von allen Seiten betrachtet und war zu dem Schluss gekommen, dass er moralisch durchaus im Recht war.
Das Problem dabei war nur, dass Rapp völlig klar war, wie kaputt ihn diese Jagd innerlich machte. Er verlor zunehmend den Bezug zu jenem Bereich der Gesellschaft, den man
Weitere Kostenlose Bücher